Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
Knaben, Gefallen? Eine Zeit lang mochte er sie ja mit seinen Geschichten und Witzen amüsiert haben, aber sobald er sie wie ein Mann geküsst hatte, war sie davongelaufen. Geradezu närrisch, welche Hoffnungen er gehegt hatte!
Ein, zwei Wochen lang machte er sich Vorhaltungen wegen seiner Dummheit, dann gewann der Zorn die Oberhand. Bei der Arbeit war er gereizt und nur mit Vorsicht zu genießen. Seiner Stiefschwester Martha gegenüber benahm er sich so scheußlich, dass sie ebenso gekränkt reagierte wie er selbst auf Aliena. Die Sonntagnachmittage verbrachte er bei Hahnenkämpfen und verwettete seinen Lohn. Seine ganze Leidenschaft widmete er seiner Arbeit. Derzeit meißelte er Konsolen, die aus der Mauer hervorragenden Kragstücke, die den Anschein erweckten, Bogen oder Säulen abzustützen, die nicht bis auf den Boden reichten. Diese Konsolen wurden häufig mit Blattmustern dekoriert, stellten mitunter aber auch einen Menschen dar, der den Bogen mit seinen Händen zu stützen oder auf dem Rücken zu tragen schien. Jack veränderte das gewohnte Bild nur geringfügig, doch am Ende hatte er eine beunruhigend verrenkte menschliche Gestalt mit schmerzverzerrten Zügen geschaffen, ersichtlich dazu verdammt, das unmenschlich schwere Gewicht des Steins bis in alle Ewigkeit zu tragen.
Jack wusste, dass seine Arbeit hervorragend war: Niemand sonst konnte ein Gesicht meißeln, dem man den Schmerz ansah. Tom schüttelte den Kopf darüber, unfähig zu entscheiden, ob er die Ausdrucksstärke bewundern oder den Bruch mit der Tradition missbilligen sollte. Philip war restlos begeistert. Jack scherte sich nicht um ihre Meinung; in seinen Augen war jeder, der die Figur nicht mochte, mit Blindheit geschlagen.
Eines Montags in der Fastenzeit, in der alle gereizt waren, weil sie schon seit drei Wochen kein Fleisch mehr gegessen hatten, kam Alfred mit geradezu triumphierender Miene zur Arbeit. Tags zuvor war er in Shiring gewesen. Jack wusste nicht, was er dort getan hatte, doch entging ihm nicht, wie höchst erfreut sich Alfred gab.
Während der Vormittagspause, in der Enid Brewster mitten im Altarraum Bier zapfte und an die Bauleute verkaufte, hielt Alfred einen Penny hoch und rief: »He, Jack Tomson, hol mir ein Bier!«
Jetzt fängt er von meinem Vater an, dachte Jack und machte keine Anstalten, Alfreds Aufforderung Folge zu leisten.
Einer der Zimmerleute, ein älterer Mann namens Peter, sagte: »Du tätest besser dran, ihm zu gehorchen, Lehrbube.« Lehrlinge waren den Meistern zu Gehorsam verpflichtet.
»Ich bin nicht Toms Sohn«, erwiderte Jack. »Tom ist mein Stiefvater, das weiß Alfred ganz genau.«
»Tu trotzdem, was er sagt«, gab Peter bedächtig zurück.
Widerwillig nahm er Alfreds Geld und stellte sich an. »Mein Vater hieß Jack Shareburg«, sagte er mit lauter Stimme. »Wenn du mich von Jack Blacksmith unterscheiden willst, kannst du mich Jack Jackson nennen.«
Alfred sagte: »Jack Bastard trifft wohl eher zu.«
Jack richtete das Wort an die Allgemeinheit: »Habt ihr euch je Gedanken darüber gemacht, warum Alfred nie seine Stiefel zuschnürt?« Alle starrten auf Alfreds Füße. Und wirklich, seine schweren, schlammverkrusteten Stiefel, die am Schaft mit einer Kordel zugebunden werden konnten, standen offen. »Damit er schneller an seine Zehen herankommt, wenn er mal weiter als bis zehn zählen muss.« Die Handwerker grinsten, und die Lehrlinge glucksten vor Vergnügen. Jack gab Enid den Penny und bekam das Bier. Er trug es zu Alfred hinüber und reichte ihm den Krug mit einer kleinen, spöttischen Verbeugung. Alfred war verärgert, aber nur ein wenig; er hatte offensichtlich noch einen Trumpf im Ärmel. Jack trollte sich, um sein Bier im Kreis der Lehrlinge zu trinken, und hoffte, Alfred würde ihn in Ruhe lassen.
Doch es kam anders. Wenig später gesellte sich Alfred zu ihm und sagte: »Ich an deiner Stelle wäre nicht so erpicht darauf, Jack Shareburg zum Vater zu haben. Weißt du denn nicht, was er war?«
»Er war Spielmann«, erwiderte Jack. Er gab seiner Stimme einen zuversichtlichen Klang, obwohl er sich schon vor Alfreds Antwort fürchtete. »Du weißt bestimmt nicht, was ein Spielmann ist.«
»Er war ein Dieb«, sagte Alfred.
»Ach, halt’s Maul, du Trottel.« Jack wandte sich ab und nippte an seinem Bier, brachte es aber kaum hinunter.
Alfred hatte das nicht einfach dahingesagt.
»Weißt du denn nicht, wie er gestorben ist?« Alfred ließ nicht locker.
Das ist es, dachte Jack; das hat er
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