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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Schlimmer hätte es kaum kommen können. Erst vor drei Monaten hatte Alfred um ihre Hand angehalten, und sie hatte ihm hochmütig eine Abfuhr erteilt. Und heute hatte er mitbekommen, dass sie sich wie eine läufige Hündin benahm. Das reinste Paradox. Sie wurde rot vor Scham. Alfred starrte sie an, und in seinem Ausdruck, der sie lebhaft an William Hamleigh erinnerte, mischten sich Lüsternheit und hämische Verachtung. Sie war wütend auf sich selbst, weil sie Alfred einen Grund geliefert hatte, auf sie herabzusehen, und auf Jack, weil er seinen Teil dazu beigetragen hatte.
    Sie kehrte Alfred den Rücken zu und sah Jack an, der unter ihrem Blick zusammenschrak. Sie wusste, dass ihr die Wut ins Gesicht geschrieben stand, aber das war nun nicht mehr zu ändern. Der Ausdruck benommener Glückseligkeit in Jacks Gesicht verwandelte sich, spiegelte Verwirrung und Gekränktsein wider. Unter normalen Umständen hätte sie das zum Einlenken gebracht, aber sie war zu aufgebracht. Sie hasste ihn für das, was er ihr aufgezwungen hatte. Blitzschnell ohrfeigte sie ihn. Er rührte sich nicht vom Fleck, doch sein Blick sprach Bände. Seine Wange rötete sich. Unfähig, den Ausdruck seiner Augen noch länger zu ertragen, wandte sie sich ab.
    Hier konnte sie nicht bleiben. Verfolgt vom unaufhörlichen Aufschlagen der Hämmer, das ihr in den Ohren dröhnte, rannte sie zur Tür. Alfred trat rasch beiseite, mit beinahe ängstlicher Miene. Sie schoss an ihm vorbei und trat durch die Tür. Tom Builder war mit einer kleinen Gruppe Bauarbeiter soeben vor dem Gebäude angekommen. Alle Welt hatte sich auf den Weg zur Mühle gemacht, um herauszufinden, was dort vor sich ging. Aliena hastete wortlos an ihnen vorüber. Sie zog die Blicke von zwei Neugierigen auf sich und schämte sich schier in Grund und Boden; aber das Gehämmer, das aus der Mühle drang, war viel interessanter. Der eiskalt berechnende Teil von Alienas Verstand erinnerte sie daran, dass Jack das Problem des Tuchwalkens gelöst hatte; aber wenn sie daran dachte, dass er sich ihretwegen die ganze Nacht um die Ohren geschlagen hatte, fühlte sie sich noch elender. Sie rannte am Stall vorbei, durch das Klostertor und die Straße entlang; ihre Stiefel rutschten, und sie glitt immer wieder im Schlamm aus, bis sie endlich zu Hause ankam.
    Richard war da. Er saß am Küchentisch und machte sich über einen Laib Brot und eine Schale Bier her. »König Stephan ist auf dem Vormarsch«, sagte er. »Der Krieg ist wieder ausgebrochen. Ich brauche ein neues Pferd.«
    +++
    In den nächsten drei Monaten wechselte Aliena kaum zwei zusammenhängende Sätze mit Jack.
    Er litt Liebeskummer. Sie hatte ihn geküsst, als ob sie ihn liebte, daran gab es nichts zu deuteln. Als sie die Mühle verließ, war er ganz sicher gewesen, dass sie sich bald wieder so küssen würden. Er lief in einer erotischen Trance herum und dachte nur noch: Aliena liebt mich! Aliena liebt mich! Sie hatte seinen Rücken gestreichelt, ihre Zunge in seinen Mund geschoben und sich mit ihren Brüsten an seinen Körper geschmiegt. Als sie ihm aus dem Weg ging, dachte er zunächst, es geschähe aus Scham. Nach einem solchen Kuss konnte sie doch nicht so tun, als liebe sie ihn nicht! Er wartete: Sie würde ihre Scheu bald ablegen. Der Zimmermann der Priorei half ihm beim Bau eines stärkeren und beständigeren Mechanismus für die alte Mühle, und Aliena ließ ihren Stoff dort walken.
    Sie bedankte sich aufrichtig bei ihm, aber ihre Stimme war kühl, und sie sah ihm nicht in die Augen.
    Als dieser Zustand länger als ein paar Tage dauerte und sich schließlich wochenlang so hinzog, musste er sich eingestehen, dass etwas nicht stimmte. Die Ernüchterung überkam ihn wie eine Woge, und er hatte das Gefühl, in Bedauern zu ertrinken. Er stand vor einem Rätsel. In seinem Elend wünschte er sich, älter zu sein oder mehr Erfahrung mit Frauen zu haben; dann hätte er wenigstens gewusst, ob ihre Haltung normal oder launisch war, ob es sich um etwas Vorübergehendes oder um einen Dauerzustand handelte, ob er es einfach ignorieren oder sie zur Rede stellen sollte. Aus Unsicherheit und aus panischer Angst, etwas Falsches zu sagen und damit alles noch schlimmer zu machen, tat er nichts. Ihr abweisendes Verhalten begann an ihm zu nagen, bis er sich nur noch wertlos, dumm und ohnmächtig vorkam. Wie hatte er nur auf die Idee verfallen können, die begehrenswerteste und unerreichbarste Frau der ganzen Grafschaft fände ausgerechnet an ihm, einem

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