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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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verschwand Jack.
    Morgens ging er wie gewöhnlich zur Kirche und aß daheim zu Mittag, aber zum Abendessen erschien er nicht. Aliena stand in der Küche ihres Hauses und bereitete gerade eine sämige Suppe mit Schinken, Kohl und Pfeffer zu, als Ellen auf der Suche nach Jack bei ihr hereinschaute.
    »Ich habe ihn seit der Messe heute früh nicht mehr gesehen«, sagte Aliena.
    »Er ist gleich nach dem Mittagessen verschwunden«, sagte Ellen. »Ich nahm an, er wäre bei Euch.«
    Aliena geriet ein wenig in Verlegenheit darüber, dass Ellen ohne Umschweife zu diesem Schluss gekommen war. »Macht Ihr Euch Sorgen?«
    Ellen zuckte die Achseln. »Als Mutter macht man sich immer Sorgen.«
    »Hat er sich mit Alfred gestritten?«, fragte Aliena besorgt.
    »Das habe ich auch vermutet. Aber Alfred sagt nein.« Ellen seufzte. »Ich glaube nicht, dass ihm etwas zugestoßen ist. Schließlich ist es nicht das erste Mal, dass er verschwunden ist, und wahrscheinlich auch nicht das letzte Mal. Ich habe ihm einfach nie beigebracht, sich an geregelte Zeiten zu halten.«
    Später am Abend, kurz vor dem Zubettgehen, schaute Aliena bei Tom herein, um sich nach Jack zu erkundigen: keine Spur von ihm. Besorgt ging sie schlafen. Richard hatte sich nach Winchester begeben, und sie war allein im Haus. Der Gedanke, Jack könnte in den Fluss gefallen und ertrunken oder ein anderes Unglück könne ihm zugestoßen sein, ließ sie nicht mehr los. Wie schrecklich das für Ellen sein musste! Jack war schließlich ihr einziger Sohn. Bei der Vorstellung von Ellens Trauer um ihren Sohn schossen Aliena die Tränen in die Augen. Wie dumm, dachte sie, aus Mitgefühl für andere zu weinen, dazu über einen Unfall, der noch nicht einmal passiert ist! Sie rief sich zur Ordnung und versuchte, sich mit etwas anderem zu beschäftigen – mit dem ungelösten Problem des überschüssigen Stoffs. Normalerweise konnte sie sich mit geschäftlichen Sorgen die halbe Nacht um die Ohren schlagen, aber diesmal kehrten ihre Gedanken immer wieder zu Jack zurück. Und wenn er sich nun ein Bein gebrochen hatte und hilflos im Wald lag?
    Endlich fiel sie in einen unruhigen Schlaf. Sie erwachte im ersten Morgengrauen und fühlte sich wie zerschlagen. Sie zog ihren schweren Umhang über ihr Nachthemd, stieg in ihre pelzgefütterten Stiefel und verließ das Haus, um nach Jack zu suchen.
    Im Garten hinter der Schenke war er nicht – dort war schon manch einer eingeschlafen und nur durch die aus dem stinkenden Misthaufen aufsteigende Wärme vor dem Erfrieren gerettet worden. Sie lief zur Brücke hinunter und kämmte ängstlich das Flussufer ab bis zu einer Biegung, in der sich der angeschwemmte Unrat zu sammeln pflegte. Eine Entenfamilie stöberte in Holzspänen, abgetragenen Schuhen, rostigen, weggeworfenen Messern und verwesenden Fleischknochen am Ufer herum. Von Jack keine Spur. Gott sei Dank!
    Aliena stieg hügelan zum Klostergelände, wo die Dombauleute eben ihr Tagewerk begannen. Tom war in seinem Schuppen. »Ist Jack wieder da?«
    Tom schüttelte den Kopf. »Noch nicht.«
    Sie wandte sich schon zum Gehen, als der Zimmermannsmeister mit besorgter Miene hereintrat. »Sämtliche Hämmer sind verschwunden«, sagte er zu Tom.
    »Wie merkwürdig«, erwiderte Tom. »Ich habe auch schon einen gesucht und konnte keinen einzigen finden.«
    Alfred steckte seinen Kopf zur Tür herein und fragte: »Wo sind denn die Trummhölzer der Steinmetzen abgeblieben?«
    Tom kratzte sich den Kopf. »Sieht fast so aus, als gäbe es auf der ganzen Baustelle keinen einzigen Hammer mehr«, sagte er verdutzt. Und fügte mit veränderter Stimme hinzu: »Dieser Jack steckt dahinter, darauf gehe ich jede Wette ein.«
    Natürlich, dachte Aliena. Hämmer. Walken. Die Mühle!
    Ohne ein Wort zu verlieren, verließ sie Toms Arbeitsschuppen und eilte an der Küche vorbei über das Klostergelände zur Südwestecke, wo ein vom Fluss abgezweigter Kanal zwei Mühlen antrieb, eine alte und eine brandneue. Ihre Vermutung bestätigte sich: Das Rad der alten Mühle war in Gang. Aliena ging hinein. Was sie drinnen erblickte, erschreckte und verwirrte sie zunächst einmal beträchtlich: Eine ganze Reihe Hämmer, befestigt an einer quer verlaufenden Stange, schien ganz aus eigenem Antrieb die Köpfe zu heben – wie Pferde, die alle gleichzeitig von der Futterkrippe aufsehen. Dann nickten sie mit den Köpfen, wiederum alle gleichzeitig, und schlugen an, mit einem ohrenbetäubenden Lärm, der Aliena schier die Besinnung

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