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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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ihn mit in den Abgrund, stand schwankend da und sah zu, wie die großen Steine durch die Luft taumelten und achtzig Fuß tiefer auf den Pultdächern der Bauhütten aufschlugen. Er richtete sich auf; hoffentlich war niemand in den Bauhütten gewesen! Im gleichen Moment hatte Alfred die Leiter überwunden und kam auf dem schwankenden Gerüst auf ihn zu, keuchend und hochrot im Gesicht. Seine Augen funkelten vor Hass, und Jack hegte nicht den geringsten Zweifel daran, dass er in diesem Zustand zu allem fähig war. Wenn er mich in die Finger kriegt, dachte Jack, schmeißt er mich glatt vom Gerüst! Alfred kam immer näher, Jack wich immer weiter zurück. Er trat in etwas Weiches: ein Häufchen Mörtel. Der kam ihm gerade recht! Blitzschnell bückte er sich, nahm eine Handvoll auf und zielte haarscharf auf Alfreds Augen.
    Alfred, der nichts mehr sah, blieb stehen und schüttelte den Kopf, um sich von dem Mörtel zu befreien. Endlich die Gelegenheit zur Flucht! Jack raste auf das andere Ende des Gerüsts zu: Dort wollte er hinabsteigen, dem Kloster entfliehen und sich für den Rest des Tages im Wald verbergen. Zu seinem namenlosen Entsetzen stand jedoch keine Leiter dort. Nicht einmal am Gerüst konnte er hinabklettern, denn es reichte nicht bis zum Boden – es wurde von Querbalken getragen, die aus eigens dafür vorgesehenen Aussparungen in der Wand herausragten. Er saß in der Falle.
    Er drehte sich um: Alfred war den Mörtel los und kam schon wieder auf ihn zu.
    Es gab nur noch einen einzigen Fluchtweg. Am Ende der Mauer, dort wo der Altarraum an das Querschiff gebaut werden sollte, war jede Steinschicht eine halbe Quaderlänge kürzer als die darunterliegende, sodass sich eine senkrechte, sehr schmale Treppe gebildet hatte, die von tollkühnen Arbeitern bisweilen als Aufstieg benutzt wurde. Jack hielt vor Angst den Atem an, als er auf die Mauer hin­aus­trat, und setzte dann rasch, aber vorsichtig einen Fuß vor den anderen, wobei er sich davor hütete, nach unten zu schauen – ein Ausrutscher, und er würde in die Tiefe stürzen. Er erreichte das Ende, hielt einen Moment inne und blickte hinab. Ihm schwindelte. Doch ein Blick zurück sagte ihm, dass Alfred immer noch hinter ihm her war. Er begann mit dem Abstieg.
    Es war ihm ein Rätsel, wieso Alfred, der sich noch nie durch besonderen Mut ausgezeichnet hatte, plötzlich so viel Kühnheit an den Tag legte. Es war, als hätte der Hass ihn jeglichen Gespürs für die Gefahr beraubt, ja, auf ihrem schwindelerregenden Abstieg schloss er sogar allmählich auf. Als Jack begriff, dass Alfred ihn so gut wie eingeholt hatte, trennten ihn immer noch zwölf Fuß vom Boden. Verzweifelt sprang er auf das strohgedeckte Dach der Zimmermannshütte, tat von dort einen Satz auf den Boden, landete aber so unglücklich, dass er sich den Knöchel verstauchte und stürzte.
    Schnell rappelte er sich wieder auf. Die Zeit, die er durch seinen Sturz verloren, hatte Alfred gut genutzt, war inzwischen ebenfalls unten angekommen und zur Hütte gelaufen. Nun wartete er lauernd ab, welche Richtung Jack, der mit dem Rücken zur Wand stand, einschlagen würde. Einen schrecklichen Moment lang konnte Jack sich nicht entscheiden; dann folgte er einer Eingebung, tat einen Schritt zur Seite und zog sich rückwärts in die Hütte zurück.
    Niemand war zu sehen, denn die Handwerker hatten sich alle um Enids Fass versammelt. Auf den Werkbänken lagen die Hämmer, Sägen und Meißel der Zimmerleute sowie die Holzstücke, an denen sie gearbeitet hatten. In der Mitte der Bauhütte lag ein Teil einer neuen Schablone auf dem Boden, die später zum Bau eines Bogens dienen sollte; ganz hinten an der Rückwand, wo die Hütte an die Kirche stieß, loderte ein Feuer, in dem die Zimmerleute ihre Sägespäne und unbrauchbare Holzstücke verbrannten.
    Hier gab es kein Entkommen mehr.
    Jack drehte sich um und sah sich Alfred gegenüber. Er saß in der Falle. Einen kurzen Augenblick lang war er vor Schrecken wie gelähmt, doch dann überkam ihn die kalte Wut. Egal, ob ich krepiere, dachte er, Hauptsache Alfred muss vorher noch bluten! Er wartete nicht, bis Alfred zum Schlag ausholte, senkte sofort den Kopf und stürmte los. Vor lauter Wut machte er nicht einmal von seinen Fäusten Gebrauch – er stürzte sich einfach mit voller Wucht auf ihn.
    Damit hatte Alfred nun überhaupt nicht gerechnet.
    Jack prallte mit der Stirn gegen Alfreds Mund, und wiewohl der eine halbe Handbreit größer und erheblich schwerer war,

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