Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
gestern in Shiring herausgefunden; und deswegen grinst er so dämlich. Widerwillig drehte er sich um und sah Alfred an. »Nein, ich habe keine Ahnung, wie mein Vater gestorben ist, Alfred. Aber ich bin sicher, dass du es mir bestimmt gleich sagen wirst.«
»Aufgeknüpft haben sie ihn, wie es sich für einen lausigen Dieb gehört.«
Unwillkürlich stieß Jack einen Schreckensschrei aus. Instinktiv wusste er, dass Alfred die Wahrheit sprach – er war sich seiner Sache viel zu sicher, als dass er die Geschichte erfunden haben konnte. Und mit einem Mal war Jack auch klar, dass dies die Erklärung für die Verschwiegenheit seiner Mutter war. Schon seit Jahren vermutete er insgeheim etwas Derartiges, obwohl er stets so getan hatte, als wäre alles in Ordnung, als wäre er kein Bastard, sondern hätte einen richtigen Vater mit einem ehrlichen Namen. Doch in Wirklichkeit war die Furcht, der Name seines Vaters sei mit Schande befleckt und er habe allen Grund, sich seiner zu schämen, nie von ihm gewichen. Ausgerechnet jetzt, da er sich durch Alienas Zurückweisung ohnehin schon niedrig und klein fühlte, kam die Wahrheit über seinen Vater zutage! Sie traf ihn mit voller Wucht.
Alfred stand grinsend da, sichtlich zufrieden mit sich und der Welt und hocherfreut über die Wirkung, die er mit seiner Enthüllung erzielt hatte. Sein Anblick machte Jack fuchsteufelswild. Schlimm genug für ihn, dass sein Vater gehängt worden war – dass Alfred sich auch noch darüber freute, schlug dem Fass den Boden aus! Ohne nachzudenken, schüttete Jack ihm sein Bier in die grinsende Visage.
Die anderen Lehrlinge, die die beiden Stiefbrüder beobachtet und an deren Wortwechsel Gefallen gefunden hatten, wichen eiligst zurück. Alfred wischte sich das Bier aus den Augen, brüllte auf vor Wut und schlug mit seiner riesigen Faust zu, ungemein behände für einen derart bulligen Mann. Die Faust landete mit solcher Wucht auf Jacks Wange, dass er nicht einmal Schmerz empfand – sie wurde sofort taub. Und da hieb ihm Alfred auch schon die andere Faust in die Magengrube. Der Schmerz war so heftig, dass Jack meinte, nie wieder atmen zu können. Er sackte in sich zusammen und stürzte zu Boden. Sofort versetzte Alfred ihm mit seinem schweren Stiefel einen Tritt gegen den Kopf, sodass er einen Augenblick nur noch Sterne sah.
Blind rollte er sich zur Seite und kam mühselig wieder auf die Beine. Doch Alfred gab sich noch nicht zufrieden. Kaum richtete Jack sich auf, wurde er erneut gepackt. Verzweifelt und voller Angst wand er sich: Alfred kannte kein Erbarmen – er würde ihn zu Brei schlagen, wenn er sich nicht befreien konnte. Aber im Moment war Alfreds Griff zu stark. Erst als er mit seiner massigen Faust zum Schlag ausholte, gelang es Jack, sich loszureißen.
Er stürzte davon, und Alfred setzte ihm nach. Jack drückte sich an einem Kalkfass vorbei und stieß es, um Alfred den Weg zu versperren, absichtlich um, sodass sich der Kalk auf den Boden ergoss. Alfred machte zwar einen Satz über das Fass, prallte dann aber gegen die Wasserbütte, die ebenfalls umstürzte und den verschütteten Kalk zum Schäumen und Zischen brachte. Einige Handwerker protestierten lauthals gegen eine derartige Vergeudung teuren Materials, doch Alfred stellte sich taub, und Jack hatte nichts anderes im Sinn, als seinem Gegner zu entkommen. Zusammengekrümmt vor Schmerzen und noch halb blind von Alfreds Tritt, rannte er um sein Leben.
Alfred, ihm hart auf den Fersen, stellte ihm von hinten ein Bein, sodass Jack Hals über Kopf hinschlug. Jetzt bin ich erledigt, dachte er und rollte sich zur Seite, Alfred macht mich kalt. Er hangelte nach einer Leiter, die an das hohe Baugerüst gelehnt war, doch Alfred warf ihn nieder. Jack fühlte sich wie eine Maus in der Falle, aber die Leiter rettete ihn: Während Alfred sich dahinterklemmte, sprang Jack vor und nahm mit einem Satz mehrere Sprossen auf einmal. Dann raste er in Windeseile die Leiter hoch, die gleich darauf auch schon unter Alfreds schweren Schritten erbebte.
Sonst pflegte er Alfred, da er viel schneller war, stets mit Leichtigkeit zu entkommen, doch jetzt war er noch zu benommen und atemlos. Keuchend erreichte er das Ende der Leiter und schwang sich auf das Gerüst. Er stolperte und krachte gegen die Mauer, die erst diesen Morgen hochgezogen worden war. Der Mörtel, noch feucht, hielt keine Belastung aus. Die Mauer schwankte, mehrere Steinquader lösten sich und fielen hinunter. Jack, der glaubte, sie rissen
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