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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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vergessen, obwohl sie sich selbst eingeredet hatte, es sei nie geschehen. Die Erinnerung ging ihr zu Herzen, und sie sah ihn mit Tränen in den Augen an.
    »Und dann habe ich die Mühle umgebaut«, fuhr er fort. »Ich war so froh, dass ich dir hatte helfen können! Und du warst ganz hingerissen davon. Und dann haben wir uns wieder geküsst, aber das war kein scheuer Kuss wie beim ersten Mal. Diesmal war es … leidenschaftlich.«
    O Gott, ja, so war es! dachte sie und errötete erneut, und ihr Atem beschleunigte sich. Wenn er doch nur aufhören wollte! Aber er ließ nicht locker. »Wir haben uns fest umarmt und uns lange geküsst. Du hast deinen Mund geöffnet –«
    »Hör auf damit!«, schrie sie.
    »Warum?«, gab er unerbittlich zurück. »Was war daran falsch? Warum hast du dich abgewandt?«
    »Weil ich Angst habe!«, sagte sie, ohne nachzudenken, und brach in Tränen aus. Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen und schluchzte. Gleich darauf spürte sie seine Hände auf ihren bebenden Schultern. Sie schüttelte sie nicht ab, und nach einer Weile schloss er sie in seine Arme. Sie ließ die Hände sinken, barg ihr Gesicht an seinem grünen Wams und weinte sich aus.
    Sie schlang ihre Arme um seine Mitte.
    Er legte seine Wange an ihr Haar – ihr kurzes, unschönes Haar, das nach dem Feuer noch immer nicht nachgewachsen war – und streichelte ihren Rücken, als wäre sie ein Kind. Am liebsten hätte sie sich nie mehr wieder vom Fleck gerührt. Aber er schob sie von sich, sah sie an und fragte: »Warum hast du solche Angst?«
    Sie wusste warum, konnte es ihm aber nicht sagen. Sie schüttelte den Kopf und trat einen Schritt zurück; doch Jack hielt sie an den Handgelenken fest und ließ sie nicht los.
    »Hör zu, Aliena«, sagte er. »Du sollst wissen, wie schrecklich das für mich war. Erst dachte ich, du liebst mich, dann dachte ich, du hasst mich, und jetzt willst du auch noch meinen Stiefbruder heiraten. Ich verstehe überhaupt nichts mehr. Ich habe keine Ahnung von solchen Dingen, ich war noch nie in meinem Leben verliebt. Aber es tut entsetzlich weh. Es ist so schlimm, dass ich einfach keine Worte dafür finde. Meinst du nicht, dass du wenigstens versuchen solltest, mir das alles zu erklären?«
    Schuldgefühle drohten sie zu überwältigen. Wie hatte sie ihn nur so tief verletzen können, wo sie ihn doch über alles liebte? Es war beschämend, wie sie ihn behandelt hatte, ihn, der immer nur darauf bedacht gewesen, ihr zu helfen – und sie hatte alles zerstört! Sie schuldete ihm wirklich eine Erklärung. Sie nahm all ihre Kraft zusammen. »Jack, vor vielen Jahren ist mir etwas zugestoßen, etwas ganz Schreckliches, das ich jahrelang von mir geschoben habe. Ich wollte nie mehr daran denken, aber als du mich so geküsst hast, wurde ich plötzlich daran erinnert und konnte es einfach nicht länger ertragen.«
    »Aber was denn? Was ist passiert?«
    »Nachdem mein Vater eingekerkert wurde, lebten wir weiterhin auf der Burg, Richard und ich und unser Diener Matthew; und eines Abends kam William Hamleigh und hat uns hinausgeworfen.«
    Er kniff die Augen zusammen. »Und?«
    »Der arme Matthew kam dabei ums Leben.«
    Er wusste, dass sie ihm nicht die ganze Wahrheit sagte. »Warum?«
    »Wie meinst du das?«
    »Warum haben sie euren Diener umgebracht?«
    »Weil er versucht hat, sie davon abzuhalten.« Tränen liefen ihr über das Gesicht, und ihre Kehle fühlte sich an wie zugeschnürt, als müsse sie an jedem Wort ersticken. Hilflos schüttelte sie den Kopf und wollte sich schon abwenden, aber Jack ließ es nicht zu.
    Seine Stimme klang sanft wie ein Kuss: »Wollte sie woran hindern?«
    Plötzlich wusste sie, dass sie ihm alles erzählen konnte, und die Worte überstürzten sich geradezu. »Sie haben mich dazu gezwungen«, sagte sie. »Der Reitknecht hat mich festgehalten, und William hat sich auf mich geworfen, aber ich gab nicht nach, und dann haben sie Richards Ohrläppchen abgeschnitten und gedroht, sie würden ihn noch mehr verstümmeln.« Diesmal schluchzte sie vor Erleichterung, dankbar, sich endlich alles von der Seele reden zu können. Sie sah Jack in die Augen und fuhr fort: »Also habe ich meine Beine geöffnet, und William hat es mir angetan, während der Reitknecht Richard zwang, dabei zuzusehen.«
    »Wie schrecklich für dich«, flüsterte Jack. »Ich habe zwar die Gerüchte gehört, aber ich hätte nie gedacht … Liebste Aliena, wie konnten sie dir das antun?«
    Sie musste ihm nun alles sagen. »Und

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