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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Mal vorbei.
    »Was hast du jetzt vor?«, fragte Mutter.
    »Ich muss zu Aliena.«
    »Jetzt sofort? Es ist noch sehr früh.«
    »Ich habe keine Zeit zu verlieren.«
    Sie nickte. »Sei behutsam mit ihr. Sie hat schon genug mitgemacht.«
    Jack hielt inne, um sie zu küssen, doch dann überlegte er es sich anders und umarmte sie ungestüm. »Du hast mich aus dem Gefängnis befreit«, sagte er lachend. »Du bist schon eine einzigartige Mutter!«
    Sie lächelte, aber ihre Augen schimmerten feucht.
    Er drückte sie noch einmal zum Abschied und machte sich auf den Weg.
    Obwohl es inzwischen hell geworden war, ließ sich weit und breit keine Menschenseele blicken: Sonntags wurde nicht gearbeitet, und die Bewohner der Stadt nutzten die Gelegenheit, einmal bis nach Sonnenaufgang zu schlafen. Jack hatte keine Ahnung, ob es ihm schaden konnte, wenn er gesehen wurde. Hatte Prior Philip das Recht, einen entlaufenen Novizen einzufangen und zur Rückkehr zu zwingen? Und wenn er das Recht hatte, würde er es anwenden? Jack hatte keine Ahnung. Nichtsdestoweniger verkörperte Philip das Gesetz in Kingsbridge, und Jack hatte ihm Trotz geboten; es war also mit Ärger zu rechnen.
    Im Augenblick jedoch, fand Jack, hatte er Besseres zu tun, als sich mit solchen Aussichten zu befassen.
    Dann stand er auch schon vor Alienas Haus. Ob Richard wohl da war? Hoffentlich nicht. Und selbst wenn, daran war jetzt nichts mehr zu ändern. Er ging zur Tür und klopfte sachte an.
    Er spitzte die Ohren und lauschte. Drinnen rührte sich nichts. Er klopfte erneut, diesmal lauter, und hörte erleichtert Stroh rascheln: Jemand rührte sich. »Aliena!«, flüsterte er vernehmlich.
    Er hörte sie auf die Tür zukommen und mit ängstlicher Stimme fragen: »Ja?«
    »Mach auf!«
    »Wer ist da?«
    »Ich bin’s, Jack.«
    »Jack!«
    Nichts geschah. Jack wartete.
    Aliena schloss vor Verzweiflung die Augen und sackte gegen die Tür. Ihre Wange berührte das raue Holz. Nicht Jack, dachte sie; nicht heute, nicht jetzt.
    Da war seine Stimme wieder, ein gedämpftes, eindringliches Wispern. »Aliena, bitte, mach auf, schnell! Wenn sie mich erwischen, stecken sie mich wieder ins Loch!«
    Sie hatte gehört, dass er hinter Schloss und Riegel saß – die Spatzen pfiffen es von allen Dächern. Er musste also geflohen sein. Und war schnurstracks zu ihr gekommen! Ihr Herz begann zu rasen. Sie konnte ihn unmöglich wegschicken.
    Sie hob den Riegel und öffnete ihm.
    Sein rotes Haar war klatschnass, als hätte er gerade ein Bad genommen. Er trug keine Mönchskutte, sondern normale Alltagskleidung. Er lächelte sie an auf eine Weise, als wäre ihr Anblick das Schönste, das ihm je im Leben begegnen konnte. Dann runzelte er die Stirn und sagte: »Du hast ja geweint!«
    »Was willst du hier?«, fragte sie.
    »Ich muss dich unbedingt sprechen.«
    »Ich heirate heute.«
    »Ich weiß. Darf ich hereinkommen?«
    Sie wusste, dass es ein Fehler war, ihn einzulassen; doch dann erinnerte sie sich, dass ihr nur wenige Stunden blieben, bis sie Alfreds Frau wurde – dies war gewiss die letzte Gelegenheit, mit Jack unter vier Augen reden zu können. Fehler oder nicht, dachte sie, das ist mir egal, und machte die Tür ganz auf. Jack trat ein, sie schloss die Tür und schob den Riegel vor.
    Da standen sie nun und sahen sich an. Aliena machte es ganz verlegen, denn wie er sie anstarrte – das war der verzweifelte sehnsuchtsvolle Blick eines Mannes, der kurz vor dem Verdursten einen Wasserfall entdeckt. »Sieh mich nicht so an«, sagte sie und wandte sich ab.
    »Du darfst ihn nicht heiraten«, sagte Jack.
    »Ich muss aber.«
    »Er wird dich kreuzunglücklich machen.«
    »Ich bin schon kreuzunglücklich.«
    »Bitte, schau mich an!«
    Sie wandte sich ihm zu und hob die Augen.
    »Bitte sag mir, warum du das tust«, bat er.
    »Warum sollte ich?«
    »Weil du mich damals in der alten Mühle leidenschaftlich geküsst hast.«
    Sie senkte die Augen und spürte, wie ihr die Schamröte ins Gesicht stieg. An jenem Tag hatte sie sich gehenlassen und seitdem nicht aufgehört, sich dessen zu schämen. Jetzt benutzte er es gegen sie. Sie sagte nichts. Sie war wehrlos.
    »Und danach bist du zu Eis erstarrt«, fuhr er fort.
    Sie hielt weiter die Augen gesenkt.
    »Wir waren so gute Freunde«, fuhr er unerbittlich fort. »Den ganzen Sommer lang, auf deiner Lichtung, beim Wasserfall … meine Geschichten … wir waren so glücklich. Einmal habe ich dich dort geküsst, weißt du noch?«
    Natürlich hatte sie es nicht

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