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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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und damals habe ich herausgefunden, wie man hier hereinkommt.«
    Jack kam der Gedanke, dass er genau hier auf diesem Steinfußboden gezeugt worden sein musste. Das machte ihn verlegen, und er war froh, dass sie sich in der Dunkelheit nicht gegenseitig sahen. »Aber mein Vater muss doch etwas angestellt haben, sonst hätten sie ihn doch nicht eingesperrt.«
    »Er hat sich den Kopf zermartert, aber ihm fiel nichts ein. Schließlich erfanden sie ein Verbrechen. Jemand gab ihm einen mit Edelsteinen verzierten Becher und sagte ihm, er könne gehen. Er war noch keine zwei Meilen weit gekommen, da wurde er verhaftet und des Diebstahls angeklagt. Und dafür haben sie ihn gehängt.« Sie weinte jetzt.
    »Wer hat das getan?«
    »Der Vogt von Shiring, der Prior von Kingsbridge … darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an.«
    »Und die Familie meines Vaters? Er muss doch Eltern gehabt haben, Brüder, Schwestern …?«
    »Ja, drüben in Frankreich hatte er eine große Familie.«
    »Und warum ist er nicht entflohen und zu ihnen zurückgekehrt?«
    »Er hat es einmal versucht, aber sie erwischten ihn und brachten ihn zurück. Dann haben sie ihn hier eingelocht. Er hätte es natürlich, nachdem ich den Fluchtweg entdeckt hatte, noch einmal versuchen können. Aber er wusste nicht, wie er hätte nach Hause finden sollen. Er sprach kein Wort Englisch und war arm wie eine Kirchenmaus – keine guten Voraussetzungen. Er hätte es trotzdem versuchen sollen, das wissen wir jetzt: aber damals sind wir nie auf den Gedanken gekommen, sie könnten ihn hängen.«
    Jack nahm sie tröstend in die Arme. Sie war nass bis auf die Knochen und zitterte vor Kälte. Sie musste hier heraus und ins Trockene. Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Wenn sie diesen Kerker verlassen konnte, dann konnte er es auch! Solange seine Mutter von seinem Vater erzählte, hatte er Aliena beinahe vergessen gehabt; aber nun ging sein Wunsch doch noch in Erfüllung – er konnte mit Aliena sprechen, bevor sie sich auf diese Heirat einließ!
    »Zeig mir, wie ich hier rauskomme«, sagte er unvermittelt.
    Sie schniefte und schluckte ihre Tränen hinunter. »Gib mir deine Hand, ich zeige dir den Weg.«
    Sie gingen quer durch die Zelle, und er spürte, wie sie durch das Loch glitt. »Lass dich in den Kanal hinunter«, sagte sie. »Dann hol tief Luft, und steck den Kopf unter Wasser. Du musst gegen den Strom kriechen. Lass dich ja nicht von ihm fortreißen, sonst landest du bei den Mönchen in der Latrine. Kurz vor Ende wird dir fast die Luft ausgehen, aber wenn du nicht in Panik gerätst und stetig weiterkriechst, schaffst du es.« Sie ließ sich noch weiter hinab, und der Kontakt brach ab.
    Er fand das Loch und zwängte sich langsam hindurch.
    Beinahe sofort hing er mit den Füßen im Wasser, und als er den Grund der Rinne ertastete, steckten seine Schultern noch immer in der Zelle. Bevor er sich endgültig hinabließ, suchte er den lockeren Stein und schob ihn wieder an seinen Platz: Die Mönche werden vielleicht Augen machen, wenn sie ihren Kerker verlassen vorfinden, dachte er übermütig.
    Das Wasser war kalt. Er holte tief Luft, ließ sich auf alle viere nieder und kroch, so schnell es ging, gegen die Strömung an. Dabei stellte er sich die Gebäude vor, die über ihm lagen: den Gang, das Refektorium, die Küche und schließlich das Backhaus. Kein weiter Weg, dennoch schien er kein Ende zu nehmen. Bei dem Versuch, sich aufzurichten, stieß er mit dem Kopf gegen die Decke des Wasserschachts. Schon wollte ihn Panik erfassen, da fielen ihm die Worte seiner Mutter wieder ein: Er war beinahe am Ziel. Kurz darauf sah er vor sich einen Lichtschimmer. Während sie sich in der Zelle unterhalten hatten, musste es hell geworden sein. Er kroch weiter, bis das Licht genau über ihm war, richtete sich auf und sog gierig die frische Luft ein. Sobald er zu Atem gekommen war, kletterte er aus dem Graben.
    Seine Mutter hatte sich schon umgezogen. Sie trug ein sauberes, trockenes Kleid und wrang das nasse aus. Für ihn hatte sie ebenfalls trockene Kleidung bereitgelegt. Fein säuberlich zusammengefaltet lagen die Kleider, die er seit einem halben Jahr nicht mehr getragen hatte, am Ufer: ein Leinenhemd, ein grünes Wams aus Wolle, graue Kniehosen und Lederstiefel. Mutter wandte sich ab, und Jack entledigte sich in Windeseile der schweren Mönchskutte, zog die Sandalen aus und schlüpfte in seine eigenen Kleidungsstücke.
    Die Kutte warf er in den Graben. Damit war es ein für alle

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