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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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hätte nur allzu gern einen Baumeister aus ihm gemacht. Tommys Unfähigkeit, auch nur einen einzigen Stein so zu schneiden, dass die Schnittkante gerade war, hatte ihn dann aber doch eines Besseren belehrt. Sein Sohn besaß andere Fähigkeiten, darunter eine natürliche Begabung zur Menschenführung. Tommy war inzwischen achtundzwanzig Jahre alt, entschlossen und entscheidungsfreudig, intelligent und gerecht. Er nannte sich nicht mehr Tommy, sondern Thomas.
    Von Aliena hatten die meisten Leute erwartet, dass sie nach der Amtsübergabe im Schloss bleiben, ihre Schwiegertochter ärgern und mit den Enkelkindern spielen würde. Aber Aliena lachte alle aus, die ihr mit solchen Ideen kamen. Sie mochte Tommys Frau, eine hübsche jüngere Tochter des Grafen von Bedford, und war ganz entzückt von den drei Enkeln – nur: Um sich zur Ruhe zu setzen, fühlte sie sich mit ihren zweiundfünfzig Jahren noch nicht alt genug. Sie hatte mit Jack im ehemaligen Armenviertel von Kingsbridge, unweit der Priorei, ein großes Steinhaus erworben und war wieder ins Wollgeschäft eingestiegen. Sie kaufte und verkaufte, verhandelte mit der ihr eigenen, ungebrochenen Energie und verdiente schon nach kurzer Zeit wieder eine Menge Geld.
    Der Zug mit dem Delinquenten betrat den Marktplatz und schreckte Aliena aus ihrer Tagträumerei. Sie fasste den Gefangenen näher ins Auge: Er stolperte am Ende eines Seils über den Platz, die Hände hatte man ihm auf dem Rücken gefesselt. Es war William Hamleigh.
    Ein Gaffer aus der ersten Reihe spuckte ihn an. Inzwischen hatte sich eine große Menschenmenge versammelt. Die meisten Leute waren froh, dass es William nun endlich an den Kragen ging, und selbst wer keinen persönlichen Groll gegen ihn hegte, fand es immerhin bemerkenswert, dass ein ehemaliger Vogt am Galgen enden sollte. Doch William war Mittäter an der furchtbarsten Mordtat, die je bekannt geworden war.
    Die Reaktion auf die Ermordung von Erzbischof Thomas Becket hatte alle Erwartungen übertroffen. Aliena konnte sich nicht entsinnen, jemals etwas Vergleichbares erlebt oder gehört zu haben. Wie ein Flächenbrand hatte sich die Nachricht über die gesamte Christenheit verbreitet, von Dublin bis Jerusalem und von Toledo bis Oslo. Der Papst hatte sich zur Trauer zurückgezogen und den auf dem europäischen Festland liegenden Teil des Reiches von König Heinrich mit dem Interdikt belegt. Das bedeutete, dass die Kirchen geschlossen waren und außer der Taufe kein Gottesdienst mehr gehalten wurde. Canterbury war innerhalb kürzester Zeit zum Wallfahrtsort geworden, die Menschen strömten dorthin wie nach Santiago de Compostela. Und es hatte Wunder gegeben: Wasser, das mit einem Tropfen Märtyrerblut vermischt war, und Fetzen von dem Gewand, das Thomas Becket bei seinem Tod getragen hatte, heilten Kranke nicht nur in Canterbury, sondern überall in England.
    Williams Männer hatten versucht, den Leichnam aus der Kathedrale zu stehlen, doch die Mönche hatten eine Warnung erhalten und ihn versteckt. Inzwischen lag er sicher verwahrt in einem steinernen Gewölbe; Pilger, die den Marmorsarg küssen wollten, mussten ihren Kopf durch ein Loch in der Mauer stecken.
    Es war Williams letzte Schandtat gewesen. Hals über Kopf war er nach Shiring zurückgekehrt – um dort sogleich von Tommy festgenommen zu werden. Die Anklage lautete auf Sakrileg. Bischof Philips geistliches Gericht hatte ihn schuldig gesprochen. Unter normalen Umständen hätte kein Mensch es gewagt, einen Vogt, der immerhin in der Grafschaft die Krone vertrat, zu verurteilen, doch in diesem Fall waren die Vorzeichen genau umgekehrt: Niemand – nicht einmal der König – hätte es wagen können, einen Mörder Thomas Beckets zu verteidigen.
    Williams Abschied war alles andere als ehrenvoll.
    Die Augen traten ihm fast aus den Höhlen. Er glotzte um sich, aus seinem offenstehenden Mund troff Speichel. Er brabbelte unzusammenhängendes Zeug. Ein dunkler Fleck vorne auf der Tunika verriet, dass er sich besudelt hatte.
    Aliena sah ihren alten Feind blindlings auf den Galgen zutorkeln. Sie musste an den jungen, eingebildeten und herzlosen Burschen denken, der sie vor nunmehr fünfunddreißig Jahren vergewaltigt hatte. Es war kaum zu fassen, dass es sich bei der jämmerlichen, vor Angst wimmernden Kreatur dort vorne um ein und dieselbe Person handelte. Selbst der fette, gichtige und verbitterte alte Ritter aus späteren Tagen hatte mit diesem Wesen nichts gemein, das jetzt, im Angesicht des

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