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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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mit dem Bischof. Der Baumeister erzählte, dass auch er unterwegs zum bischöflichen Palast sei. Er hoffte, der Bischof habe einige Ausbesserungen zu erledigen oder plane vielleicht sogar einen kleinen Anbau. Philip beobachtete die Familie während des Gesprächs genau, ohne sich jedoch seine Neugier anmerken zu lassen. Es war kaum vorstellbar, dass die Frau die Mutter des älteren der beiden Jungen war; dazu war sie viel zu jung. Der Bursche war wie ein Kalb – stark und täppisch, mit blödem Blick. Der andere Junge war wesentlich kleiner und schmächtiger, er hatte karottenrotes Haar, schneeweiße Haut und vorstehende hellgrüne Augen. Sein Blick war merkwürdig starr und wirkte irgendwie geistesabwesend: Er erinnerte Philip ein wenig an den armen Johnny Eightpence, mit dem Unterschied jedoch, dass der seltsame Knabe, wenn man ihm in die Augen sah, den Blick erwiderte und dabei den Eindruck erweckte, als sei er schon sehr erwachsen und habe viel erlebt. Auf seine Art war er eine genauso beunruhigende Erscheinung wie seine Mutter. Das dritte Kind war ein kleines Mädchen von ungefähr sechs Jahren. Sie fing immer wieder an zu weinen. Ihr Vater behielt sie stets im Auge und kümmerte sich liebevoll um sie. Hin und wieder tätschelte er sie, um sie zu trösten. Einmal berührte der Mann auch seine Frau, und es entging Philip nicht, dass die Blicke der beiden voller Sinnlichkeit waren, als sie sich begegneten.
    Die Frau schickte die Kinder große Blätter suchen, die als Teller benutzt werden konnten. Philip öffnete seine Satteltaschen. Tom fragte ihn: »Wo liegt Euer Kloster, Vater?«
    »Mitten im Wald, eine Tagesreise westlich von hier«, antwortete Philip. Die Frau blickte auf, und Tom hob die Brauen. »Kennt Ihr es?«, fragte Philip.
    »Wir kommen aus Richtung Salisbury und müssen daran vorbeigekommen sein«, sagte Tom.
    »In der Tat, das müsst ihr. Allerdings liegt es noch ein gutes Stück von der Hauptstraße entfernt. Wer das Kloster nicht kennt, geht daran vorbei, denn von der Straße aus ist es nicht zu sehen.«
    »Ach so«, erwiderte Tom, war mit seinen Gedanken jedoch anscheinend ganz woanders.
    Philip hatte auf einmal eine Idee. »Sagt an«, begann er, »ist Euch unterwegs vielleicht eine Frau begegnet? Eine sehr junge Frau möglicherweise und – nun ja – gesegneten Leibes …?«
    »Nein«, erwiderte Tom wie beiläufig, doch Philip hatte das Gefühl, dass den Baumeister das Thema brennend interessierte. »Wieso fragt Ihr?«
    Philip lächelte. »Hört zu, ich werde es Euch erzählen. Gestern am frühen Morgen wurde im Wald ein Säugling gefunden und in mein Kloster gebracht. Es handelt sich um einen kleinen Jungen, der nach meinem Dafürhalten kaum einen Tag alt war. Er muss in der Nacht zuvor auf die Welt gekommen sein. Seine Mutter muss sich demnach zur gleichen Zeit wie Ihr in jenem Teil des Waldes aufgehalten haben.«
    »Uns ist keine Frau dort begegnet«, wiederholte Tom. »Aber sagt uns – was habt Ihr mit dem Säugling gemacht?«
    »Wir haben ihn mit Ziegenmilch gefüttert, die ihm außerordentlich gut zu bekommen scheint.«
    Mann und Frau hingen an Philips Lippen. Das ist eine Geschichte, die an jedermanns Herz rührt, dachte er. Nach einer kurzen Pause fragte Tom: »Und jetzt sucht Ihr seine Mutter, wie?«
    »O nein, ich fragte nur aus Neugier. Falls sie mir zufällig über den Weg liefe, würde ich der Frau das Kind natürlich zurückgeben. Doch so wie die Dinge liegen, will sie es gar nicht haben. Sie hat gewiss Sorge dafür getragen, dass niemand sie findet.«
    »Was geschieht denn mit dem Jungen?«
    »Wir werden ihn bei uns im Kloster aufziehen – als ein Kind Gottes. Auch mein Bruder und ich wuchsen in einem Kloster auf. Unsere Eltern wurden uns schon früh genommen. Danach wurde der Abt unser Vater, und die Mönche waren unsere Familie. Wir bekamen zu essen, brauchten nicht zu frieren und erhielten eine gute Ausbildung …«
    »… und wurdet beide Mönche«, warf die Frau ein. Es klang leicht ironisch, als wollte sie damit sagen, dass die klösterliche Barmherzigkeit letztlich von Eigennutz bestimmt war.
    Philip war froh, ihr widersprechen zu können. »Nein«, sagte er, »mein Bruder verließ den Orden.«
    Die Kinder kehrten zurück. Sie hatten keine großen Blätter gefunden – was im Winter auch gar nicht so leicht war. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als ohne Teller zu essen. Philip verteilte Brot und Käse, und die Familie fiel darüber her wie hungrige

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