Die Säulen der Schöpfung - 13
tatsächlich wagen wollten, dann mußten sie ihn wenigstens teilweise einweihen.
Jennsen zog den zerknüllten Zettel aus der Tasche und reichte ihn Sebastian. »Das fand ich in der Tasche des toten Soldaten.«
Sebastian zog das zerknüllte Papier auseinander und strich es mit Daumen und Zeigefinger glatt während er den beiden einen mißtrauischen Blick zuwarf. Er hielt das Papier in den Schein des Feuers, damit er die beiden Worte darauf entziffern konnte.
»Jennsen Lindie«, las er von dem Zettel ab. »Wer ist Jennsen Lindie?«
»Das bin ich«, antwortete Jennsen. »Zumindest war ich es eine Zeit lang.«
»Eine Zeit lang? Das verstehe ich nicht.«
»So lautete mein Name früher«, sagte Jennsen. »Jedenfalls der Name, den ich vor ein paar Jahren benutzte, als wir hoch oben im Norden lebten. Wir ziehen häufig um – stets in der Hoffnung, verhindern zu können, daß wir gefaßt werden. Und jedes Mal ändern wir den Namen, damit es schwieriger wird, uns nachzuspüren.«
»Dann … ist also auch Daggett nicht Euer richtiger Name?« »Nein.«
»Und wie heißt Ihr nun wirklich?«
»Auch das ist Teil der Geschichte für einen anderen Abend.« Der Tonfall ihrer Mutter verriet, daß sie nicht die Absicht hatte, darüber zu diskutieren. »Worauf es ankommt, ist, daß der Soldat heute im Besitz dieses Namens war. Das kann nur das Allerschlimmste bedeuten.«
»Aber Ihr sagtet doch, es sei ein Name, den Ihr gar nicht mehr benutzt.«
Ihre Mutter beugte sich zu Sebastian hinüber. Jennsen wußte, daß sie ihn jetzt mit einem Blick bedachte, den er als beunruhigend empfinden würde.
»Mag sein, daß wir jetzt anders heißen und wir diesen Namen ausschließlich oben im Norden benutzt haben, aber er hatte sich diesen Namen notiert, und er war hier nur wenige Meilen von der Stelle entfernt, wo wir uns im Augenblick befinden. Irgendwie hat er eine Verbindung zu uns hergestellt, beziehungsweise der Mann, der uns verfolgt, hat diese Verbindung hergestellt und seinen Schergen dann auf uns angesetzt. Und nun sucht man uns hier.«
»Jetzt verstehe ich, was Ihr meint.« Sebastian machte sich wieder daran, den auf seinem Messer aufgespießten Fischhappen zu verspeisen.
»Dieser tote Soldat wird in Begleitung anderer hergekommen sein«, fuhr ihre Mutter fort. »Durch das Verscharren habt ihr Zeit für uns gewonnen. Zumindest in diesem Punkt haben wir Glück, denn wir sind ihnen noch immer ein paar Schritte voraus. Diesen Vorteil müssen wir nutzen und uns aus dem Staub machen, bevor die Schlinge sich zusammenzieht. Wir müssen gleich morgen früh aufbrechen.«
»Seid Ihr sicher?« Er deutete mit dem Messer gestikulierend um sich. »Ihr habt Euch hier in der Wildnis ein Leben aufgebaut. Hätte ich Jennsen nicht zufällig bei dem toten Soldaten gesehen, ich hatte Euch niemals entdeckt. Wie sollten sie Euch finden? Ihr habt ein Haus hier, ein richtiges Heim.«
»›Leben‹, das ist der entscheidende Begriff bei allem, was Ihr gerade sagtet. Ich kenne den Mann, der hinter uns her ist. Er kann sich bei unserer Verfolgung auf ein jahrtausendealtes, blutiges Erbe berufen. Und er wird niemals Ruhe geben. Wenn wir hier ausharren, wird er uns früher oder später aufspüren. Wir müssen fliehen, solange wir noch dazu in der Lage sind.«
Sie zog das edle Messer aus dem Gürtel und reichte es Sebastian.
»Der Buchstabe ›R‹ auf dem Heft steht für das Haus Rahl, für unseren Häscher. Eine solch vortreffliche Waffe wird er nur einem ganz besonderen Soldaten geschenkt haben. Ich will keine Waffe, die ein Geschenk dieses verruchten Mannes war.«
Sebastian blickte kurz auf das ihm dargebotene Messer, ohne es jedoch entgegenzunehmen. Er bedachte die beiden mit einem Blick, der Jennsen bis ins Mark frösteln ließ – einem Blick, der von unerbittlicher Entschlossenheit zeugte.
»Dort, wo ich herkomme, ist es Brauch, Besitztümer unserer Feinde als Waffe gegen sie zu benutzen.«
Jennsen hatte noch nie jemanden eine solche Einstellung äußern hören.
»Wäret Ihr bereit, das, was er Euch versehentlich in die Hände gespielt hat, gegen ihn zu benutzen? Oder zieht Ihr es vor, das Opfer zu spielen?«
»Was wollt Ihr damit sagen?«
»Warum tötet Ihr ihn nicht?«
Jennsen klappte der Unterkiefer herunter, ihre Mutter dagegen schien weniger verblüfft. »Das ist völlig ausgeschlossen«, beharrte sie. »Er ist ein mächtiger Mann und wird von zahllosen Personen beschützt, angefangen bei einfachen Soldaten bis hin zu Personen, die
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