Die Säulen der Schöpfung - 13
aufzugehen schienen, musterte eine Frau Jennsen mit kühlem Blick aus den Augenwinkeln. Sie war mittleren Alters, breitschultrig und trug ein schlichtes dunkelgraues, bis zum Hals geschlossenes Kleid; ihr grauschwarz-meliertes Haar hatte sie locker nach hinten gebunden. Im Großen und Ganzen wirkte sie unauffällig, wäre da nicht dieses durchtriebene, selbstzufriedene Schmunzeln gewesen, das sich für immer in ihr Gesicht eingegraben zu haben schien. Der Blick ließ Jennsen stutzig werden.
Als sich ihre Augen begegneten, regte sich plötzlich die Stimme, rief Jennsens Namen in ihrem gespenstischen, leblosen Flüsterton und forderte sie auf, sich hinzugeben. Aus irgendeinem Grund durchlief Jennsen für einen Augenblick eine eiskalte Ahnung, Diese Frau wußte, daß die Stimme gesprochen hatte! Jennsen verwarf jedoch den sonderbaren Gedanken und beschloß, ihn allein auf ihren Gesichtsausdruck zurückzuführen, der ein Gefühl absoluter Überlegenheit ausstrahlte.
Eine andere Frau war damit beschäftigt, die Teppiche mit einem Kleiderbesen abzubürsten; wieder eine andere wechselte tropfende Kerzen aus. Weitere Frauen – einige von ihnen zweifellos Schwestern des Lichts – liefen geschäftig zwischen diesem Raum und den dahinter liegenden Gemächern hin und her und kümmerten sich um die Unmengen von Kissen, Lampen, Vasen mit Blumen. Ein schmächtiger junger Mann, bekleidet nur mit einer baumwollenen Pluderhose, war damit beschäftigt, die Fransen der Teppiche vor den Durchgängen in die hinteren Gemächer mit einem Kamm zu ordnen. Bis auf die braunäugige Frau, die gerade die hohen Vasen polierte, waren alle ganz auf ihre Arbeit konzentriert, und keine von ihnen nahm besondere Notiz von den Besuchern, die soeben das kaiserliche Zelt betreten hatten.
Nahe der Rückwand des Raumes stand ein kunstvoll geschnitzter und vergoldeter, mit roten Seidenstoffen drapierter Sessel. Jennsen mußte schlucken, als sie sich endlich überwand, den Mann anzusehen, der darauf saß, den Ellbogen auf der Armlehne des Sessels, das Kinn auf Daumen und Zeigefinger gestützt.
Ein stiernackiger Bulle von einem Mann. Der flackernde Schein der Kerzen, der sich auf seinem kahl rasierten Schädel widerspiegelte, verstärkte die Illusion, daß er eine Krone aus winzigen Flammen trug. Zwei lange, dünne Schnurrbärte sprossen an den Winkeln seines
Mundes, ein weiterer Zopf wuchs ihm aus der Mitte seines Kinns. Feine Goldkettchen verbanden die güldenen Ringe an der Außenseite seines linken Nasenlochs und an seinem Ohr, während sich eine Ansammlung sehr viel schwererer, juwelenbesetzter Ketten in den tiefen Einschnitt zwischen seinen hervortretenden Brustmuskeln schmiegten. Jeder seiner fleischigen Finger war mit einem breiten Ring geschmückt. Die Fellweste, die er trug, war ärmellos, so daß man seine kräftigen Arme und massigen Schultern sah. Er wirkte nicht gerade groß, aber deswegen war sein muskelbepackter massiger Körper nicht weniger beeindruckend.
Seine Augen jedoch waren es, die ihr, trotz Sebastians warnender Schilderung, den Atem verschlugen, denn keine noch so eindringlichen Worte hätten sie auf diese Begegnung vorbereiten können.
Seine trüben Augen hatten überhaupt kein Weiß, weder Iris noch Pupillen, so daß man nur in zwei glänzende, dunkle leere Höhlen blickte. In diesen düsteren Höhlen aber trieben dämmrige Schatten. Trotz des Fehlens von Iris und Pupillen war ihr jenseits allen Zweifels klar, daß er sie direkt und durchdringend ansah.
Als er sie anlächelte, war Jennsen sicher, daß ihre Knie unter ihr nachgaben.
Sebastians Arm faßte sie fester und half ihr sich aufrecht zu halten. Er deutete eine Verbeugung aus der Hüfte an.
»Mein Kaiser, ich danke dem Schöpfer, daß er über Euch und Eure Sicherheit gewacht hat.«
Das Lächeln wurde breiter. »Und über Euch, Sebastian.« Seine Stimme, heiser, kraftvoll und bedrohlich, entsprach voll und ganz seiner äußeren Erscheinung. »Es ist lange her, viel zu lange. Ich bin erfreut, Euch wieder bei mir zu wissen.«
Sebastian wies mit einem Neigen seines Kopfes auf Jennsen. »Exzellenz, ich habe einen wichtigen Gast mitgebracht. Dies ist Jennsen.«
Obwohl Sebastian ihr seinen Arm um die Hüfte gelegt hatte, um sie zu stützen, wand sie sich heraus und ließ sich freiwillig auf die Knie sinken. Dann beugte sie sich vor, bis ihre Stirn fast den Boden berührte. Sebastian hatte ihr nicht erklärt, daß sie dies tun solle, aber ihr überwältigendes
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