Die Säulen der Schöpfung - 13
Ma’am.«
Die Worte waren gesprochen wie ein Hinweis, ein Hinweis allerdings, in dem sich ein Befehl verbarg.
In ihrer Wut hob sie den Kopf und blickte in seine halb geschlossenen Augen. Sie sah die Augen des Toten vor sich, sie sah die Soldaten bei ihrem Haus – Männer, tot auf dem Boden liegend, Männer, im Begriff, sich auf sie zu stürzen und sie zu packen. Durch einen tiefroten, blutigen Schleier sah sie bruchstückhafte Bewegungen aufblitzen.
Während der Soldat und sie einander anstarrten, spürte sie, wie die Klinge an ihrer Hüfte langsam aus der Scheide glitt.
Eine Hand faßte sie unterm Arm und zog sie fort. »Hier entlang, meine Liebe. Ich zeige Euch, wo es ist.«
Jennsen blinzelte verwirrt. Es war die Frau, die ihnen den Weg zu Altheas Haus beschrieben hatte, die Frau, die im Palast des Lord Rahl, dieses mörderischen Halunken, saß und friedliche Landschaften aus Bergen und Bächen stickte. Die Augen der Frau hatten einen warnenden Ausdruck angenommen. »Niemand versäumt hier eine Andacht, liebe Frau, niemand. Laßt mich Euch zeigen, wo es ist.«
Der Soldat verfolgte mit finsterer Miene, wie Jennsen sich schließlich geschlagen gab und sich von der Händlerin den Weg zeigen ließ. Beide wurden sie vom Strom der Menschen, die sich zum Platz begaben, mitgerissen und ließen den Soldaten hinter sich zurück. Jennsen blickte in das lächelnde Gesicht der Frau, und die ganze Welt schien ihr in ein seltsames Licht getaucht. Die Stimmen rings um sie her verschmolzen zu einer undeutlichen, in ihren Gedanken vom Widerhall der Schreie bei ihrem Haus durchbrochenen Geräuschkulisse.
Jennsen.
Die Stimme drang klar und vernehmlich durch das Gemurmel rings um sie herum und forderte ihre Aufmerksamkeit. Jennsen lauschte gespannt, was sie ihr wohl zu sagen hatte.
Gib deinen Willen hin, Jennsen.
Irgendwo, ganz tief in ihrem Innern, ergab es einen Sinn. Gib dein Fleisch hin.
Nichts sonst schien noch zu zählen. Was immer sie ihr Leben lang
versucht hatte, nichts hatte ihr Erlösung, ein Gefühl von Sicherheit oder Frieden verschaffen können. Ganz im Gegenteil, jetzt schien alles verloren. Sie schien nicht noch mehr verlieren zu können.
»Da wären wir«, sagte die Frau.
Jennsen blickte verwirrt um sich. »Wie?«
»Wir sind da.«
Jennsen spürte, wie ihre Knie den gefliesten Fußboden berührten,
als die Frau sie sanft hinunterdrückte. Überall ringsumher waren Menschen, und vor ihnen lag der Platz mit dem Becken stillen Wassers in seiner Mitte. Sie sehnte sich einzig und allein nach der Stimme.
Gib dich hin, Jennsen.
Die Stimme hatte einen barschen, kommandohaften Tonfall angenommen, der die Flammen ihres Ärgers, ihrer Wut, ihres Zorns anfachte.
Von ihrem Zorn überwältigt, beugte Jennsen sich zitternd vor. Irgendwo, in einem entlegenen Winkel ihres Verstandes, meldete sich lautstark ein vages Gefühl entsetzlicher Angst, doch trotz dieser unbestimmten, düsteren Vorahnung war es schließlich der Zorn, der ihren Willen brach.
Gib dich hin!
Sie sah die tropfenden Speichelfäden vor sich, als sie mit leicht geöffnetem Mund keuchend atmete. Tränen fielen auf die Fliesen unmittelbar vor ihrem Gesicht, und ihre Augen waren so weit aufgerissen, daß es schmerzte. Sie zitterte am ganzen Körper, so als wäre sie in kältester, finsterster Winternacht vollkommen allein.
Menschen verbeugten sich tief und stützten dabei die Hände auf den Fliesen ab. Sie sehnte sich danach, das Messer zu ziehen, verspürte gleichzeitig aber auch ein unbändiges Verlangen nach der Stimme.
»Führe uns, Meister Rahl.«
Das war nicht die Stimme; es waren die Menschen rings um sie her, die wie aus einem Mund die Andacht psalmodierten. Bei den ersten Worten beugten sich alle noch weiter vor. bis sie mit der Stirn die Fliesen berührten. Unmittelbar hinter ihnen ging, seine Runde machend, ein Soldat vorüber und beobachtete, wie sie vornübergebeugt, die Hände auf dem Boden abgestützt, unkontrollierbar zitternd auf den Knien lag.
Zögernd, Zoll um Zoll, senkte Jennsen keuchend ihren Kopf, bis die Stirn den Boden berührte.
»Lehre uns, Meister Rahl.«
Das war es nicht, was sie hören wollte.
Sie wollte die Stimme hören, tobte deshalb innerlich. Sie wollte ihr Messer, wollte Blut sehen.
»Beschütze uns, Meister Rahl«, psalmodierten die Menschen wie aus einem Mund. Sie lauschte auf die Stimme, vernahm aber nichts weiter als den Sprechgesang der Andacht.
»In deinem Licht werden wir gedeihen. Deine Gnade gebe
Weitere Kostenlose Bücher