Die Säulen der Schöpfung - 13
doch inmitten all des Durcheinanders lockerte die Schlange für einen kurzen Augenblick ihren Griff. Das nutzte Jennsen aus und packte das silberne Heft.
Als der breite Kopf mit der züngelnden roten Zunge auf ihr Gesicht zuhielt, riß sie das Messer hoch und drückte der Schlange die Messerspitze unter den Kiefer. Die Schlange zögerte; offenbar war sie sich der Gefahr bewußt, die ihr von der rasiermesserscharfen Spitze drohte. Die beiden starrten einander in die Augen, verharrten regungslos. Jetzt, da sie endlich das Messer in der Hand hielt, überkam sie ein Gefühl übermütiger Erleichterung, auch wenn die Gefahr keineswegs überstanden war.
Die gelben Augen musterten sie. Jennsen fragte sich, ob die Schlange wohl giftig war; bislang hatte sie noch keine Fangzähne gesehen. Sie überlegte, ob sie wohl schnell genug wäre, sie aufzuhalten, wenn sie nach ihrem Gesicht schnappte.
»Tut mir leid, daß ich auf dich draufgetreten bin«, sagte sie. Sie glaubte allerdings nicht so recht daran, daß die Schlange sie verstand, eigentlich war es eher ein Selbstgespräch, ein lautes Nachdenken. »Wir haben uns wohl gegenseitig einen Schrecken eingejagt.«
Die Schlange verharrte reglos wie ein Stein, musterte sie weiterhin. Womöglich hielt sie die drohende Messerklinge für einen Fangzahn. Jennsen wußte es nicht, sie wußte nur, daß es besser wäre, nicht gegen ein solches Geschöpf kämpfen zu müssen.
Sie befand sich im Wasser, im Lebensraum der Schlange. Messer oder nicht, der Ausgang war ungewiß. Selbst wenn sie sie tötete, konnte das Gewicht des Tieres, das sie in tödlicher Umklammerung gefangen hielt, sie unter Wasser ziehen und ertränken. Am besten, man ging kampflos auseinander.
»Verschwinde jetzt«, sagte sie leise mit todernster Stimme. »Sonst muß ich versuchen, dich zu töten.« Sie hob die Messerspitze ein wenig an, um sich in einer Sprache verständlich zu machen, die die Schlange mit Sicherheit besser verstand.
Das Blut schoß augenblicklich in ihre Beine zurück, als sie spürte, wie die Umklammerung gelockert wurde. Zoll um Zoll zog sich der Kopf zurück, die schuppigen Windungen lösten sich und glitten von ihrem Körper und den Beinen herunter. Ihr war plötzlich, als ob sie schwebte. Die Messerspitze noch immer unter den Kiefer des Tieres gepreßt, um beim leisesten Anzeichen von Gefahr mit voller Kraft zuzustoßen, folgte Jennsen dem Schlangenkopf in seiner Rückwärtsbewegung. Schließlich glitt die Schlange zurück ins Wasser.
Kaum war sie von dem Gewicht befreit, krabbelte Jennsen auf festen Grund. Sie schnappte nach Luft, kam wieder zu Atem und wartete, bis ihre aufs Äußerste angespannten Nerven sich ein wenig beruhigt hatten. Dann sprach sie ein stilles Dankgebet an die Gütigen Seelen. Falls sie tatsächlich etwas mit ihrer Befreiung aus der tödlichschuppigen Umklammerung zu tun hatten, dann wollte sie auf keinen Fall versäumen, ihnen ihre Dankbarkeit zu zeigen.
Jennsen wischte sich mit dem Rücken ihrer zitternden Hand die Tränen der Angst aus dem Gesicht, bevor sie sich auf wackeligen Beinen erhob. Sie drehte sich um und betrachtete die vollkommen still daliegende schwarze Wasserfläche unter den überhängenden Bäumen und Moosen. Für den Rückweg nahm sie sich vor, sich einen Wanderstab abzuschneiden, um sich mit dessen Hilfe durch das seichte Gebiet zu tasten. Außerdem würde sie tunlichst darauf achten, nicht noch einmal auf eine Schlange zu treten.
Naß bis auf die Knochen setzte sie ihren Weg fort. Zum Glück war es trotz der winterlichen Jahreszeit warm im Sumpf, frieren würde sie also nicht. Sie mußte daran denken, wie naß sie auf ihrer Flucht mit Sebastian von ihrem Haus gewesen war. nachdem das Quadron ihre Mutter umgebracht hatte.
Obwohl der Erdboden nur wenig über den weiten Flächen stehenden Wassers lag, war er dank der vorstehenden Wurzeln, mit denen er durchsetzt war, fest genug, um ihr Gewicht zu tragen.
Alsbald gelangte sie in ein anderes Gebiet, wo Dampf aus Bodenspalten aufstieg. Farbige, meist gelbe Ablagerungen hatten rings um die Öffnungen, aus denen der Dampf entwich, eine Kruste gebildet; der Gestank raubte ihr fast den Atem, und sie war gezwungen, einen Umweg zu suchen, um nicht zu ersticken. Das Gestrüpp hier war dornig und überaus dicht, doch gelang es ihr, mit dem Messer mehrere dickere Äste zu entfernen und sich bis zu einem einer Felswand vorgelagerten Felsvorsprung durchzuschlagen. Dem schmalen Felsband folgend, umging sie ein
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