Die Saga vom Dunkelelf 1 - Der dritte Sohn
liegende Raum nicht mit einer Lichtquelle ausgestattet. Es war der Verhandlungsraum der Hohepriesterinnen, der Vorraum der großen Kapelle des Hauses Do'Urden. Die geistlichen Räume der Drow waren, in Abstimmung mit den dunklen Bräuchen der Spinnenkönigin, keine Orte des Lichts. Als er das Gefühl hatte, bereit zu sein, trat Dinin forsch durch die Tür, wobei er sich ohne Zögern an zwei erschrockenen weiblichen Wachen vorbeidrängte und kühn vor seine Mutter trat. Alle drei Töchter der Familie betrachteten ihren draufgängerischen und anmaßenden Bruder aus zusammengekniffenen Augen. Ohne Erlaubnis einzutreten! dachten sie, wie er wußte. Sie wünschten sich, daß er es wäre, der diese Nacht geopfert würde!
So sehr er es auch genoß, die Grenzen seiner untergeordneten Stellung als Mann auszuprobieren, so konnte Dinin doch nicht die drohenden Blicke von Vierna, Maya und Briza übersehen. Als Frauen waren sie größer und stärker als Dinin und hatten sich ihr ganzes Leben lang im Gebrauch der ge-fährlichen geistlichen Mächte und Waffen der Drow geübt.
Dinin beobachtete, wie verhexte Auswüchse der gefürchteten schlangenköpfigen Peitschen der Priesterinnen an den Gürteln seiner Schwestern sich in Erwartung der Bestrafung, die sie vollstrecken würden, zu winden begannen. Die Griffe waren aus Diamantspat und entsprechend schlicht, aber die Verlängerungen waren lebendige Schlangen mit mannigfaltigen Köpfen. Besonders Brizas Peitsche, ein übles sechsköpfiges Gerät, tanzte und wand sich und bildete Knoten um den Gürtel, an dem sie befestigt war. Briza war immer die Schnellste, wenn es ans Bestrafen ging.
Die Oberin Malice schien jedoch von Dinins forschem Auftreten angetan zu sein. Der Zweitgeborene kannte seinen Platz aus ihrer Sicht gut genug und befolgte ihre Befehle furchtlos und ohne Fragen zu stellen.
Dinin fühlte sich durch die Ruhe auf dem Gesicht seiner Mutter, die in starkem Gegensatz zu den leuchtendweißen und heißen Gesichtern seiner drei Schwestern stand, beruhigt. »Es ist alles bereit«, teilte er ihr mit. »Das Haus DeVir duckt sich hinter seine Schutzwehr... ausgenommen Alton natürlich, der unklugerweise seine Studien in Sorcere fortsetzt.«
»Ihr habt Euch mit dem Gesichtslosen getroffen?« fragte die Oberin Malice.
»In der Akademie war es heute abend ruhig«, antwortete Dinin. »Unser Treffen lief reibungslos ab.«
»Hat er unserer Übereinkunft zugestimmt?«
»Alton DeVir wird entsprechende Behandlung erfahren.« Dinin lachte. Dann erinnerte er sich der geringfügigen Änderung, der er die Pläne der Oberin Malice unterzogen hatte, indem er Altons Hinrichtung zugunsten seiner eigenen Gier nach zusätzlicher Grausamkeit hinauszögerte. Dinins Überlegung beschwor auch noch eine andere Erinnerung herauf:
Hohepriesterinnen der Lloth hatten die enervierende Begabung, Gedanken lesen zu können.
»Alton wird heute nacht sterben«, beendete Dinin seine Antwort schnell und wiegte die anderen damit in Sicherheit, bevor sie ihn nach genaueren Einzelheiten fragen würden.
»Ausgezeichnet«, murrte Briza. Dinins Atem beruhigte sich ein wenig.
»Stimmt Euch aufeinander ein«, befahl die Oberin Malice.
Die vier männlichen Mitglieder der Drow knieten vor der Oberin und ihren Töchtern nieder: Rizzen vor Malice, Zaknafein vor Briza, Nalfein vor Maya und Dinin vor Vierna. Die Priesterinnen sangen im Gleichklang, wobei sie eine Hand sacht auf die Stirn des jeweiligen Kriegers legten, um sich auf seine Gemütsbewegung einzustellen.
»Ihr kennt Eure Plätze«, sagte die Oberin Malice, als die Zeremonie beendet war. Ihr Gesicht verzerrte sich unter den Schmerzen einer Wehe. »Unser Werk soll beginnen.«
Weniger als eine Stunde später standen Zaknafein und Briza zusammen auf der Galerie vor dem oberen Eingang des Hauses Do'Urden. Unter ihnen, auf dem Boden der Höhle, waren die zweite und dritte Brigade der Streitmacht der Familie, die von Rizzen und Nalfein befehligt wurden, sehr geschäftig. Sie paßten angewärmte Lederriemen und Metallbesätze an, die helfen sollten, die hitzewahrnehmenden Drow-Augen zu täuschen. Dinins Gruppe, die ursprüngliche Streitmacht, die aus hundert Elfensklaven bestand, war schon längst aufgebrochen.
»Nach dieser Nacht werden wir berühmt sein«, sagte Briza. »Niemand würde vermuten, daß ein zehntes Haus gegen jemanden angehen würde, der so mächtig ist wie DeVir. Wenn sich die Gerüchte nach dem blutigen Werk dieser Nacht verbreiten, wird sogar
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