Die Saga vom Dunkelelf 5 - In Acht und Bann
über die nur ein einzelner Baumstamm führte. Auf der anderen Seite hing der Junge. Beim Anblick des ebenholzschwarzen Elfs, der Krummschwerter gezückt hatte, riß er die Augen auf. Er stammelte ein paar Worte, die Drizzt nur mühsam deuten konnte.
Doch beim Anblick des gefährdeten Kindes empfand er tiefe Schuld. Der Junge steckte nur deshalb in der Klemme, weil Drizzt ihm nachgegangen war. Die Kluft war ebenso tief wie breit, und dort unten lagen spitzkantige Steine und dornige Zweige. Zu Anfang zögerte Drizzt, überrascht von dem plötzlichen Aufeinandertreffen und seinen unausweichlichen Auswirkungen, doch dann interessierten den Dunkelelf seine eigenen Probleme nicht mehr. Er steckte die Krummschwerter in ihre Scheiden zurück, kreuzte die Arme auf der Brust – bei den Dunkelelfen ein Symbol für Frieden -und setzte einen Fuß auf den Baumstamm.
Doch der Junge hatte offensichtlich andere Vorstellungen. Sobald er sich von dem Schrecken erholt hatte, dass ihm ein Dunkelelf gegenüberstand, sprang er auf einen Felsvorsprung und verrückte den Baumstamm. Drizzt sprang schnell von der provisorischen Brücke herunter, die nur Sekundenbruchteile später in die Schlucht fiel. Nun begriff der Dunkelelf, dass der Junge gar nicht in Gefahr gewesen war, sondern die Bedrängnis vorgetäuscht hatte, um seinen Verfolger anzulocken. Und, das nahm Drizzt wenigstens an, wenn der Verfolger ein Mitglied der Familie gewesen wäre, wovon der Junge zweifelsohne ausgegangen sein musste, hätte er sich offensichtlich keine Sorgen über die Bestrafung gemacht.
Jetzt steckte Drizzt in einer Zwangslage. Er war entdeckt worden und suchte nach einer Möglichkeit, sich mit dem Knaben zu unterhalten, seine Anwesenheit zu erklären und die Angst des Kindes zu beschwichtigen. Doch der Junge wartete die Erklärungen nicht ab. Mit weitaufgerissenen Augen und verängstigt überwand er den Felsen und verschwand in den Büschen auf einem Weg, der ihm nicht fremd zu sein schien.
Drizzt blickte sich hilflos um. »Warte!« rief er in der Dunkelelfsprache, obwohl er ganz genau wusste, dass der Junge ihn nicht verstand und auch nicht angehalten hätte, wenn er seine Aufforderung begriffen hätte.
Eine schwarze Fellkreatur tauchte neben dem Dunkelelf auf und sprang mit einem Satz über die Schlucht. Guenhwyvar landete sanft auf der anderen Seite und verschwand im Gebüsch.
»Guenhwyvar!« rief Drizzt und versuchte, den Panther aufzuhalten, weil er nicht wusste, wie das Tier auf das Kind reagieren würde. Soweit Drizzt wusste, war Guenhwyvar erst einmal einem Menschen begegnet, dem Zauberer, den Drizzts Begleiter später getötet hatte. Drizzt suchte eine Möglichkeit, zu den beiden zu gelangen. Er konnte in die Schlucht hinunterklettern, sie durchqueren und auf der anderen Seite wieder hinaufklettern, aber das würde zu lange dauern.
Und so lief der Dunkelelf ein paar Schritte nach hinten, rannte dann auf die Schlucht zu und sprang in die Luft. Dabei rief er seine angeborenen Schwebefähigkeiten zu Hilfe. Drizzt war wahrhaft erleichtert, als er spürte, wie sich sein Körper von der Erdanziehungskraft befreite. Seit er an die Oberfläche gekommen war, hatte er seinen Schwebezauber nicht mehr eingesetzt. Der Zauber war einem Dunkelelf, der sich unter freiem Himmel versteckte, nicht dienlich. Stück um Stück wurde Drizzt auf die andere Seite der Schlucht getragen. Er konzentrierte sich darauf, langsam abzusteigen, aber der Zauber ließ abrupt nach, und Drizzt schlug hart auf. Er ignorierte den Schmerz in seinem Knie und auch die Frage, warum sein Zauber nicht so wirkungsvoll gewesen war, sondern stand schnell auf und stürmte los. Verzweifelt rief er Guenhwyvar zu, dass er stehenbleiben sollte.
Drizzt war erleichtert, als er auf die Katze stieß. Guenhwyvar saß gelassen auf einer Lichtung und drückte den Jungen sanft mit dem Gesicht nach unten auf den Boden. Das Kind stieß Hilferufe aus, schien aber unverletzt zu sein.
»Komm, Guenhwyvar«, sagte Drizzt sanft und leise. »Laß das Kind in Ruhe.« Der Panther gähnte und kam dem Wunsch des Drows nach. Das Tier stolzierte über die Lichtung und trat an die Seite seines Herrn.
Der Junge blieb noch ziemlich lange liegen. Dann faßte er wieder Mut, bewegte sich plötzlich, stand auf und wirbelte herum, bis er den Dunkelelf und den Panther ansehen konnte. Seine Augen schienen noch weiter aufgerissen zu sein und blitzten in seinem schmutzigen Gesicht.
»Was bist du?« fragte der Junge in
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