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Die Saga vom Eisvolk 06 - Das böse Erbe

Die Saga vom Eisvolk 06 - Das böse Erbe

Titel: Die Saga vom Eisvolk 06 - Das böse Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margit Sandemo
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Kaleb war. Dann war er fort.
    Seltsam, das war die erste freundliche Geste, die er ihr entgegengebracht hatte! Gabriella war so überwältigt, daß sie ihre Furcht vollkommen vergaß.
    Ihr Herz fühlte sich wieder warm an. Eine neue Art von Wärme. Nicht so unsicher wie bei Simon - ob er sie mögen würde oder nicht. Das hier war neu.
    Das war das Empfinden einer erwachsenen Frau. Stark und gut - und nicht wenig erregend. Kaleb seinerseits war ebenso überrascht.
    Gabriella hatte seine Kühle nie verstanden. Sie erkannte nicht, daß sie selbst es war, die ihn so aggressiv machte. Er fand, daß sie sich herablassend und verächtlich ihm gegenüber benahm, den Standesunterschied zwischen ihnen extra betonte. All seine barschen Worte sollten sie »von ihrem hohen Roß« holen.
    Und jetzt hatte sie plötzlich seine Hand gesucht. Seine Hand!
    Daß es nur zufällig seine Hand war, das kam ihm nicht in den Sinn. Statt dessen wurde er von einer heftigen Zärtlichkeit erfüllt, auf einmal sah er Gabriellas Schmach mit ihren Augen. Und er sah sie überhaupt nicht mehr als mürrische, ichbezogene Hochwohlgeborene, sondern als ein furchtsames, unsicheres und nach Zuneigung dürstendes Geschöpf, das von irgendeinem tölpelhaften Junker in ein finsteres Loch gestoßen worden war. Er bezähmte seinen Drang, zurückzugehen und ihr all das zu sagen.
    An all den Mißverständnissen zwischen ihnen war Cecilie wohl nicht ganz unschuldig. Sie hatte eine Heidenangst, daß ihrer Tochter ähnliches widerfahren könnte, wie ihr selbst in ihrer Jugend - daß das heiße Blut des Eisvolks sie in eine Situation bringen könnte, die sie nicht beherrschte. Cecilie hatte sich einst einem Mann hingegeben, der ihr gleichgültig war - nur weil sie schier verbrannte vor leidenschaftlicher Sehnsucht und unstillbarem Verlangen nach einem anderen Mann, den sie nicht haben konnte. Etwas derartiges sollte Gabriella nicht passieren. Deshalb hatte sie, ohne es zu wollen, die Tochter zu einer Frau erzogen, die sich Männern gegenüber unnahbar und steif gab.
    Von all dem wußte Kaleb nichts. Er spürte nur einen heftigen Schmerz in der Brust, wie von Wehmut oder Kummer darüber, daß sie die war, die sie war, und er immer nur Kaleb bleiben würde.
    Er schloß die Augen für einen Moment und atmete tief durch, um sich wieder auf den Dachboden zu konzentrieren.
    Man konnte die Hand nicht vor Augen sehen. Deshalb blieb er stehen und lauschte.
    Durch das Heulen des Schneesturms hörte er die vorsichtigen, schlurfenden Schritte der anderen jungen Männer, die sich Zoll um Zoll vorwärts tasteten. Einer stieß sich den Fuß an etwas, er hörte einen halberstickten Fluch. Es mußte Andreas sein, denn Mattias fluchte niemals. Plötzlich hörten sie alle ein Poltern aus einer Ecke. Dann ein schleifendes Geräusch.
    Gabriella preßte eine Hand vor den Mund, um nicht aufzuschreien. Was können Kolgrim und Tarjei nur hier oben gefunden haben? dachte sie. Welche Geheimnisse aus der Vergangenheit des Eisvolks verbergen sich auf diesem Dachboden? Die Alraune… ?
    Nein, das wäre allzu makaber - so makaber, daß es einfach lächerlich war.
    Aber Gabriella verspürte in diesem Augenblick keinerlei Drang zu lachen. Ganz und gar nicht!
    Die Männer schlichen rasch und lautlos auf die Ecke zu, aus der das Geräusch gekommen war. Einer von ihnen stolperte über etwas, das sich wie eine Blechkiste oder etwas ähnliches anhörte. Kaleb, der die Ecke erreicht hatte, stand mucksmäuschenstill.
    An seinem einen Bein spürte er etwas Weiches, wie Stoff. Er bewegte sein Bein ein wenig und stellte fest, daß es ein Sessel sein mußte, über den eine Decke geworfen war. Dann sah er die Silhouette von Mattias vor einer Dachluke.
    Sie zeichnete sich schwarz vor dem Schneehimmel ab. Und Andreas stand rechts von ihm, das wußte er. Gabriella hielt drüben an der Treppe Wache.
    Wer zum Teufel befand sich dann links neben ihm? Links in der Ecke…
    Es lief ihm kalt den Rücken hinunter. Sein eigener Atem ging flach, fast lautlos, aber dicht neben sich hörte er jemanden atmen. Er spürte die Wärme eines lebendigen Wesens…
    Seine Hand schnellte vor und erwischte eine Schulter. Eine kleine, schmale Gestalt, die sich rasch losriß. Groteske Gedanken schössen Kaleb durch den Kopf - über die Stimmen von Tarjei und Kaleb oben im Tal des Eisvolks. Worte, die der Wind ihm zugetragen hatte - Worte, die nicht für ihn bestimmt gewesen waren. Kolgrim, der über eine kleine, schmale, unheimliche

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