Die Saga vom Eisvolk 10 - Wintersturm
Bewunderung. Als sie mit dem nötigsten fertig waren, sagte Irmelin zu Eldar: »Wir schicken euch morgen Roggen und Gerstenmehl, sei so gut und nimm es. Denke an deine Familie, sie benötigt es.«
Eldar sah ihr fest in die Augen und nickte. Er verstand es nicht, denn was er gesehen hatte, konnte er noch nicht begreifen. Und ich wollte sie alle zur Hölle schicken, dachte er.
Sie gingen nach Hause, kein Wort des Dankes bekamen sie, das war es auch nicht, auf das sie aus waren. Villemo trennte sich von den beiden, sie hatte den kürzeren Weg. Sie hatte Schwierigkeiten, nach Hause zu kommen nach all den Aufregungen, sie hatte Hunger und nahm den kürzesten Weg durch den Friedhof. Gedankenverloren ging sie an den Grabsteinen von Tengel und Silje vorbei, ohne die Steine zu beachten. Plötzlich stand sie vor dem Grab von Großmutter Liv, fünfundachtzig Jahre war sie alt geworden, ein biblisches Alter. Villemo erinnerte sich an ein Gespräch am Krankenbett ihrer Großmutter in den letzten Tagen ihres Lebens, sie war damals zwölf, aber sie vergaß ihre Worte niemals: »Villemo, du bist die dritte mit gelben Augen aus dem Eisvolk. Ich habe kein Recht, dir Boshaftigkeit vorzuwerfen, doch ich möchte dich warnen vor den Schwierigkeiten, die an dich herantreten werden.«
»Warum das, Großmutter?« hatte sie gefragt.
»Du hast dieselbe brennende Seele wie meine arme Kusine Sol. Sie war härter, als du jemals sein kannst, und ihre geistigen Fähigkeiten arteten ins Böse. Denke über das, was auf dich zukommt, und alles, was dich belastet, fünfmal nach, um dann den besten Weg zu finden, so kannst du ein reicheres und glücklicheres Leben führen als alle anderen Menschen.«
Villemo hatte ernst genickt und ihrer Großmutter einen langen Kuss gegeben. Als sie das Zimmer verlassen hatte, hörte sie Großmutter beten. »Mein armes Mädchen, möge der Herrgott barmherzig sein mit dir.« Großmutter hatte Recht gehabt. Villemo hatte schon oft bemerkt, wie schwierig es war, allen Versuchungen, die an sie herantraten, zu widerstehen und das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Besonders, wenn man eine unverständliche Lust im Körper verspürte und all die anderen Verrücktheiten, die in ihrem Kopf herum gingen. Niklas und Dominic hatten jeder ihre eigenen Probleme. Niklas hatte die Gabe in seinen Händen, so wie Tengel der Gute sie hatte. Dominic war ein Seelendoktor, der über weite Entfernungen Notrufe empfangen konnte, und das war für Villemo schon oft, wenn sie in der Klemme saß, die letzte Rettung gewesen. Er war noch im Zweifel, ob er darüber hinaus andere Gaben hatte. Sie ging weiter zum nächsten Grab: Tarald Meiden 1601, Ehefrau Yrja Mattiastochter 1669. Irmelins Großmutter war auch schon tot. Familie Lind vom Eisvolk hatte auch ein neues Grab bekommen: Matilda, Onkel Brands Ehefrau, wurde nicht alt, sie war übermäßig dick. Eli, Niklas’ Mutter, war jetzt Hausfrau auf Lindenallee. Auch in Dänemark war Urgroßmutter Cecilie alleine, ihr hochgeschätzter Mann Alexander war schon lange tot. Sie kam in letzter Zeit selten zu Besuch, sie war ja auch schon über siebzig.
Gabriella und Kaleb waren in Dänemark, sie kauften Roggen, Gerste und neues Saatgut für alle drei Güter. Niklas, Irmelin und Villemo, die neue Generation, war nun für alles verantwortlich.
Auf Grastensholm würde der Name Meiden aussterben, Irmelin war das einzige Kind. Auf Lindenallee war die Nachkommenschaft gesichert, Niklas war der Erbe, seine Mutter würde die letzte Baroness von Meiden sein. Villemo wandte sich um und blickte nach Lindenallee. Alle acht Lindenbäume, die Tengel der Gute am Anfang gepflanzt hatte, waren fort, zurück blieben verschiedene andere Bäume. Mit Liv war eine Epoche zu Ende gegangen, die im einsamen Bergtal in Tröndelag begann. Aber sie fühlte, dass das Erbe des Eisvolkes weiter ging. Sie war ja selbst ein Teil davon. Das Verlangen nach dem Ursprungstal des Eisvolkes war geblieben. Allen Angehörigen in Dänemark, in Schweden und vor allen Dingen hier in der Gemeinde Grastensholm trugen die Sehnsucht nach dem Tal in den Bergen von Tröndelag in sich.
Verwunderliche Wege hatten einige Nachkommen in verschiedene Länder verschlagen, und in allen war das Erbe des bösen Tengel. Villemo hatte das Gelöbnis abgelegt, so zu sein wie Tengel der Gute. Nein, heiraten würde sie nie - sie wusste, es war verrückt, aber so dachte sie noch. Die Stammmutter Silje hatte eine Tochter Liv. Liv hatte auch nur eine Tochter,
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