Die Saga vom Eisvolk 10 - Wintersturm
hatte - wo sollten sie hingehen? Ihr Herz schmerzte, wo sollten sie hin, wehrlos ausgeliefert in einer grausamen Welt.
»Keine Sorge um die«, sagte Niklas sorglos, »wir nehmen sie mit zu uns.«
»Wohin denn?« fragte Dominic.
Niklas lächelte. »Habt ihr unsere Großmutter Liv vergessen? Habt ihr Mattias, Kaleb und Gabriella und deren Heim für Unerwünschte vergessen? Habt ihr vergessen, dass Lindenallee, Grastensholm und Elistrand viele Zimmer für Gäste haben?«
Villemos Lippen zitterten, sie sprang auf und umarmte Niklas.
»Oh, Niklas, du verstehst die Welt, du kannst so weit voraussehen.«
»Das kann ich nicht«, sagte Niklas, »das sind tüchtige Arbeiter, die fallen niemandem zur Last, doch nun sollten sie in menschenwürdigen Umständen leben.«
Dominic sah mit Wehmut, wie sie seinen Vetter umarmte, Villemo hatte ein größeres Vertrauen zu Niklas als zu ihm. Das war auch nicht verwunderlich, Dominic hatte sie, während sie aufwuchsen, immer wieder in seiner spöttischen Art genarrt. Niklas löste Villemos Arme von seinem Nacken.
»Es ist schön, dich wieder munter zu sehen. Gewiss war es unangenehm mit Eldar, aber er hat sich sein eigenes Grab geschaufelt. Du hast ihn nicht gekannt, niemand hat dir erzählt, warum Eldar Svartskogen vor einigen Jahren von Grastensholm verschwand.«
»Das hat er mir erzählt«, protestierte Villemo, »er hat mir alles erzählt.«
Darauf sagte Niklas beißend: »Erinnerst du dich an das junge Mädchen, Martha, die sich in den Fluss warf? Seitdem wird die Stelle ‚Marthakulpen’ genannt. Das war dein Eldar Svartskogen, der sie ins Unglück gestürzt hat, er soll ihr auch geholfen oder zumindest nachgeholfen haben, den Sprung ins Wasser zu tun.«
»Nein«, keuchte sie.
»Doch. Und weißt du noch, das Mädchen, das schwanger war und von ihrer Familie ausgestoßen wurde? Sie verschwand in der Stadt, und man hörte niemals wieder etwas von ihr. Auch da war Eldar der Kindsvater, glaubst du, er hätte sich jemals um sie gekümmert?«
»Niklas«, sagte Dominic warnend. Mit einem Ruck wandte Villemo sich zu Dominic, umklammerte ihn und versteckte sich an seiner Brust.
»Aber er sagte doch, dass er mich liebt«, sagte sie unter Tränen. »Es war das Letzte, was er sagte, und er meinte es ehrlich, das fühlte ich.«
»Das glaube ich dir gerne, wer sollte das nicht glauben.«
Sie hatten die Pferde und den Wagen genommen, mit dem sie von Zweibrunnen zur Alm gekommen waren. Bald war alles klar. Dann begann der lange Weg zurück nach Grastensholm.
Die acht Passagiere im Wagen waren guten Mutes. Sie hatten volles Vertrauen zu allen, besonders zu Niklas. Alle saßen warm eingepackt in Decken und Mänteln, die Frauen mit dicken Schals oder Kopftüchern. Sie sprachen in ihrer eigenen Art miteinander. Manchmal hörten die drei auf dem Bock ein herzliches Lachen. Villemo saß zwischen den beiden. Über Villemo lag eine drohende Sorge, sie musste viel nachdenken. Vor allen Dingen ging ihr die brutale Aufklärung von Niklas durch den Kopf. Sie wusste, dass Niklas nicht gelogen hatte. Ihre Ansicht über Eldar hatte sich in den letzten Stunden grundlegend geändert. Ohne, dass sie es bemerkte, war sie in den letzten Tagen reifer geworden. Der Aufenthalt auf Zweibrunnen und die gefährliche Nacht des Aufruhrs hatten einen guten Teil ihres Kindseins hinweggefegt. Der Wagen kam am zweiten Weihnachtstag nach Grastensholm. Villemo kam noch vor Gabriella, ihrer Mutter, nach Hause.
Gabriella konnte über das Verschwinden von Villemo nie viel in Erfahrung bringen. Kaleb wusste nicht, wie er den beiden danken sollte. Auch die acht Heimatlosen bekamen ein dauerhaftes Heim auf den drei Höfen. Sie wurden je nach ihrem Können und ihrer Begabung auf die drei Höfe verteilt. Sie waren später in allen Familien gute Hilfen. Sie brauchten eine ganze Weile, um ihr Glück zu begreifen, dass sie bei guten Menschen waren, dass sie in wunderschönen Zimmern wohnten und essen konnten, bis sie satt waren, also leben konnten wie jeder andere.
Villemo kam langsam zu sich selbst. Aber eine kleine Zacke von einer Doppelsinnigen saß lange in ihr. Dominic ging nach Schweden zurück, um seine Verpflichtungen am Hof zu erfüllen.
Verschwunden waren auch Dominics gelbe Augen, auch seine spöttischen Sticheleien, für die er so bekannt war.
Bemerkenswert bleibt noch zu sagen, dass es kein Nachspiel und keine Nachuntersuchung von den Aufrühren und dem Freiheitskampf gab. Die Ursachen waren ganz einfach. Es
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