Die Saga von Thale 03 - Die Hüterin des Elfenfeuers
fehlten die Worte; auf eine Begegnung mit der Gütigen Göttin war sie nicht vorbereitet.
»Heilige Mutter, vergebt mir«, hob sie schließlich mit leiser Stimme an. »Der Kreis hat sich geschlossen. Ich bin bereit. Vergebt mir all das, was ich getan habe und nicht hätte tun dürfen, und jenes, was ich gesagt habe und nicht hätte sagen dürfen. Aber auch all die Male, wo ich versäumt habe zu handeln, und wo ich geschwiegen habe, statt meine Stimme zu erheben.«
»Das alles ist dir längst vergeben.« Die Göttin kam noch ein wenig näher. »Nur wenige haben mir so treu gedient wie du, Naemy«, hörte sie die Gütige Göttin sagen. »Sowohl im Kampf gegen An-Rukhbar als auch gegen Asco-Bahrran hast du stets unerschütterlich auf der Seite des Lichts gestanden und mit Mut und Tapferkeit dazu beigetragen, dass die Finsternis besiegt werden konnte.« Die Göttin legte die schlanken Finger sanft unter Naemys Kinn. »Und nun erhebe dich und sieh mich an, meine Tochter«, forderte sie die Nebelelfe auf.
Die Elfe spürte die sanfte Berührung, hob den Kopf und blickte in das leuchtende Antlitz der Göttin, die ihr freundlich zulächelte. »Der Kreis hat sich geschlossen«, wiederholte sie Naemys Worte.
Dabei streckte sie die Hand aus und zeigte der Nebelelfe, was sich darin befand: ein in Silber gefasster, orangefarbener Stein. »Er ist zu mir zurückgekehrt«, sagte sie mit einem nachdenklichen Blick auf das magische Kleinod. »Vor fast dreihundert Sommern habe ich dieses Amulett in deine Welt gebracht, auf dass es Menschen und Elfen im Kampf gegen das Böse beistehen möge.« Da huschte ein Schatten über ihr Gesicht, und sie sah Naemy traurig an. »Es grämt mich, dass es deinem Volk in der Stunde der Not nicht zu helfen vermochte; dennoch trug es entscheidend zum Sieg des Lichts über die Finsternis bei.«
»Ohne das Amulett hätte Sunnivah ihre Aufgabe niemals erfüllen können.« Naemy nickte.
»Außerdem hat es das Dimensionentor verschlossen und somit An-Rukhbar die Rückkehr verwehrt.« Die Nebelelfe richtete sich auf und erwiderte den Blick der Göttin. »Es war der letzte Dienst, den ich meinem Land erweisen konnte«, erklärte sie gefasst. »Ich bin stolz und glücklich, dass es mir gelungen ist.«
»So bist du bereit, den Weg in die Ewigen Gärten des Lebens anzutreten?«, fragte die Göttin leise.
»Ja, das bin ich.«
Die Göttin lächelte. »Nun, meine Tochter, ich hatte auch nichts anderes von dir erwartet. Aber es ist noch nicht an der Zeit, diesen Weg zu gehen.«
»Noch nicht an der Zeit?«, wiederholte Naemy erstaunt und setzte zu einer Frage an, doch eine gebieterische Geste der Göttin ließ sie verstummen. Diese machte erneut ein Zeichen in die Luft und deutete nach links. Dort wurde das allgegenwärtige Leuchten schwächer, und Naemys Blick fiel auf einen mannshohen Spiegel mit kunstvoll verziertem Rahmen, auf dessen dunkler Oberfläche sich das Licht wie an den Wassern eines tiefen, ruhigen Sees brach.
»Komm!«, forderte die Göttin sie auf und schwebte lautlos darauf zu.
Naemy folgte ihr zögernd. Die Worte der Göttin verwirrten sie. Warum war es nicht an der Zeit, die Ewigen Gärten des Lebens zu betreten? Was hatte das zu bedeuten?
Aufmerksam beobachtete sie, wie sich die Göttin vor den Spiegel stellte und mit dem Stab der Weisheit, der wie aus dem Nichts in ihren Händen erschien, eine kreisende Bewegung über dessen Oberfläche vollführte. Das dunkle Bild im Spiegel verschwamm, wurde heller und zeigte schließlich die schneebedeckten Gipfel einer hoch aufragenden Gebirgskette im Sonnenschein.
»Das Ylmazur-Gebirge!«, stieß Naemy hervor. Der vertraute Anblick weckte das Heimweh in ihr und rief ihr Bilder in Erinnerung, die sie schon vergessen geglaubt hatte: Bilder aus glücklichen Tagen, in denen sie mit Zahir, Chantu und Leilith, den jungen Riesenalpen, ausgedehnte Flüge an der Ostseite des Gebirges unternommen hatte.
»Warum zeigt Ihr mir das?«, fragte sie. Doch die Göttin legte nur schweigend den Finger auf die Lippen und machte erneut eine Handbewegung. Augenblicklich begann sich das Bild im Spiegel zu bewegen. Als säße Naemy auf dem Rücken eines aufsteigenden Riesenalps, blieb der Boden unter ihr zurück, und ihr Blick wanderte höher, bis sie über Gletscher und Eisflächen hinweg nach Westen schauen konnte, wo sich die andere Seite der Berge hinter einer dichten Wolkendecke verbarg. Der unsichtbare Vogel glitt über die ersten Bergspitzen hinweg und hielt auf
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