Die Salzbaronin
Stunden hatte! Das konnte sie nicht behaupten. Irgendwie war ihr Leben auf Gut Rehbach nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Genaue Vorstellungen davon, wie ihr Leben als junge Gräfin und Frau des Salinenbesitzers aussehen würde, hatte sie vor der Heirat allerdings nicht gehabt, eher eine vage Erwartung, eine Sehnsucht. Die war bis heute geblieben: Jeden neuen Morgen begrüßte sie voller Spannung, nur um abends festzustellen, dass ihre Erwartungen wieder einmal enttäuscht worden waren.
Langsam setzte sie sich aufrecht hin und schob einen Fuß nach dem andern aus dem Bett, wobei sie darauf achtete, mit dem rechten Fuß zuerst aufzutreten - sie wollte den Tag doch nicht gleich falsch beginnen!
Eine Zeitlang blieb sie am Fenster stehen, das auf den parkähnlichen Garten hinaus ging.
Dann setzte sie sich vor ihre Kommode und starrte auf ihr Spiegelbild. Gedankenverloren suchte ihre Hand rechts vom Spiegel nach dem Glockenzug, der ihre Zofe rufen sollte, als ihr einfiel, dass sie auf Gut Rehbach ohne Suzanne und deren Frohsinn auskommen musste.
Seufzend entschloss sie sich, erst einmal nach unten zu gehen, um sich mit einem Morgenmahl zu stärken. Danach würde sie Zeit genug haben, über den weiteren Verlauf des Tages nachzudenken.
Dorothea schaute kaum auf, als ihre Schwägerin eintrat. Sie hatte sich immer noch nicht daran gewöhnt, dass außer ihrem Vater, Viola, Georg und ihr nun noch jemand im Haus wohnte. Das dreigeschossige Gebäude war so weitläufig, dass es gut vorkommen konnte, dass sich die Familienmitglieder einen ganzen Tag lang nicht über den Weg liefen und sich höchstens zum gemeinsamen Abendmahl trafen. So vergaß sie Elisabeth oft für Stunden und erschrak dann jedesmal regelrecht, wenn diese plötzlich wie ein Geist vor ihr stand. So wie jetzt.
»Guten Morgen«, hauchte Elisabeth und blieb ihm Türrahmen stehen.
Dorothea spürte, dass sich Stacheln in ihr aufrichteten wie die eines Igels. »Was ist? Willst du da Wurzeln schlagen oder was?« fragte sie unfreundlicher, als sie beabsichtigte. Sie winkte Elisabeth ins Zimmer, als sei sie eine Dienstbotin. Ihre Schwägerin hatte immer noch ihr Nachtkleid an, stellte sie mit einem missbilligenden Blick auf das wasserblaue, mit Spitzen umsäumte Gewand fest. Gleichzeitig erschrak sie, als sie sah, wie knochig Elisabeths Glieder unter dem dünnen Stoff hervorragten. Ein Windhauch würde genügen, um das Weib umzuwerfen!
Elisabeth schaute sich derweil im Raum um, als suche sie etwas Bestimmtes. Am liebsten hätte Dorothea wieder zu ihrer Feder gegriffen und wäre weiter die langen Zahlenreihen durchgegangen, die vor ihr lagen. Statt dessen beobachtete sie Georgs junge Frau. Sie war ziemlich attraktiv, das musste man ihr lassen. Ihr Gesicht hatte etwas Vollkommenes - mit seinen großen, dunklen Augen, dem hellen Teint und dem vollen Mund, der sich herzförmig unter einer kleinen Nase wölbte. Ein Künstler hätte sicher Ewigkeiten damit verbringen können, über die Gleichmäßigkeit ihrer Züge nachzusinnen. Selbst ungekämmt glänzte Elisabeths Haar wie versilbert, weiche Wellen fielen ihr ins Gesicht und wurden mit einer eleganten Bewegung nach hinten geworfen. Verschämt griff Dorothea an den schlichten, geflochtenen Zopf, der ihr den Rücken hinabhing. »Suchst du etwas?« fragte sie kurz darauf.
Elisabeth schaute sie an und lächelte. »Das Morgenmahl?« Sie wies auf die große Anrichte an der Längswand des Raumes.
»Die Speisen wurden schon abgeräumt. Freitag ist immer der Tag, an dem ich die Abrechnung des Salzmaiers überprüfe, und diese Arbeit erledige ich hier an diesem Tisch.« Dorotheas Handbewegung umfasste den sonnendurchfluteten Raum, in dem die Familienmitglieder - meist jeder für sich, da alle zu unterschiedlichen Zeiten aufstanden - ihr Morgenmahl einnahmen. Du musst nur nach Luise klingeln, und dir wird alles serviert, was dein Herz begehrt, hätte sie hinzufügen können.
Das Wissen, nicht wie Georg oder ihr Vater ein eigenes Schreibzimmer für sich zu haben, wurmte Dorothea nicht zum ersten Mal. Um die Abrechnungen durfte sie sich kümmern - sie hatte dabei schon mehr als einmal Unregelmäßigkeiten festgestellt -, damit waren die Herrschaften einverstanden! Ihr jedoch einen eigenen Raum für diese Arbeit zu geben, davon hatte ihr Vater nie etwas hören wollen. Die Sache mit einem eigenen Arbeitszimmer war einer der ersten Punkte, die sie dringend mit Georg zu klären hatte.
»Was machst du da eigentlich?«
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