Die Salzbaronin
gewesen. Wie um diese hatte sich auch um Dorothea von den Erwachsenen niemand sehr viel gekümmert - von Violas hilflosen Versuchen, Dorothea weibliche Fertigkeiten beizubringen, einmal abgesehen, hatte sie tun und lassen können, was sie wollte. Nicht so Georg. Als der Sohn und spätere Nachfolger seines Vaters war jeder seiner Schritte von klein auf mit Argusaugen bewacht worden, so dass er mehr als einmal Dorothea um ihre Freiheit beneidet hatte.
»Was ist, willst du den Tag damit verbringen, über deine Braut zu sinnieren?« fragte sie nun mit unüberhörbarer Ungeduld in der Stimme.
Dass Dorothea ihm gleichzeitig immer ein wenig das Gefühl vermittelte, er müsse sich in ihrer Gegenwart besonders anstrengen, hatte Georg auch vergessen gehabt. Jetzt kam diese Empfindung wieder unangenehm in ihm hoch. Wie anders war da doch Elisabeth! So still und vornehm und … Er setzte sich wieder aufrecht hin. Dann würde er eben Viola bitten, sich um seine Braut zu kümmern!
Dorothea lehnte sich zu ihm über den Tisch. »Ich habe Unregelmäßigkeiten in der Abrechnung der letzten Woche festgestellt.« Sie legte einen Stapel Papiere vor ihm auf den Tisch und zeigte mit ihrem Finger auf eine der Ziffern. »Hier: Die Holzkosten sind für die letzte Sudwoche mit 480 Gulden angegeben. Das kann aber gar nicht sein, denn am Dienstag konnte nicht getriftet werden. Das bedeutet, dass eigentlich 65 Gulden weniger dort stehen müssten.« Sie klopfte mit ihrem Zeigefinger auf das Papier. »Diese Schlampigkeiten häufen sich in letzter Zeit! Es kann doch nicht angehen, dass Josef Gerber fast jede Woche …«
Ein Wort reihte sich ans vorige, doch Georg nahm nur ein Dröhnen war. Ihm war, als wäre in seinem Kopf ein Hebel umgestellt worden.
Er schüttelte sich. Holz triften, neue Krücken kaufen, die Aufhängungen der Siedepfannen wechseln - Dorothea redete die Sprache der Salzleute, als wäre sie eine von ihnen. »Was die zu hohen Holzkosten betrifft - bald bleiben solche Unregelmäßigkeiten ja in der Familie«, versuchte Georg einen Scherz in Anspielung auf die geplante Hochzeit mit Alexander von Hohenweihe. Würde der Salzmaier sich dann verrechnen und ein paar Heller zuviel zahlen, profitierten Dorothea und Alexander davon, denn alles Holz, welches in den Sudhäusern verbrannt wurde, kam aus Hohenweihschen Beständen. Ihm fiel auf, dass es im Zimmer auf einmal sehr ruhig war.
»Entwickelst du dich etwa zum gleichen Scherzbold wie Vater?« presste Dorothea endlich heraus. »Sicher, solche Rechenfehler sind nicht das Ende der Welt, aber zum Lachen finde ich sie ebenfalls nicht!« Sie stand auf, doch als sie um den Schreibtisch herumhasten wollte, blieb ein Zipfel ihres Rockes daran hängen. Ein unangenehmes Geräusch ertönte. »Verdammt!« Anklagend schaute sie von dem Riss zu ihrem Bruder. Ihre Augen glitzerten. »Ich hab’ gedacht, jetzt, wo du wieder zurück bist, wird alles anders, besser. Ich hab’ gedacht, dass ich wenigstens bei dir auf offene Ohren stoße. Ach, ich könnte dir Dutzende Dinge aufzählen, die im argen liegen: Seit Jahr und Tag plätschern die Salzerträge vor sich hin, ohne dass auch nur der geringste Zuwachs zu vermelden ist. Dafür steigt der Holzverbrauch stetig an, weil keiner mehr in der Lage scheint, ein ordentliches Feuer zu machen und zu halten! Die letzten Pfannen, die aus dem Schwarzwald geliefert wurden, waren minderwertig und…« Sie winkte ab. »Was rede ich mir den Mund fusselig, wo du ja scheinbar vorhast, es Vater gleichzutun und dich keinen Deut um die Saline zu kümmern! Nur frage ich mich, warum dann ich um der Saline willen heiraten soll!« Ihre Stimme klang tränenerstickt.
»Eins nach dem andern, ja?« Beschwichtigend drückte Georg sie mit sanfter Gewalt wieder auf den Stuhl. Du meine Güte, er hatte doch nur einen Scherz machen wollen! Statt dessen hatte er Dorothea fast zum Weinen gebracht! Wahrscheinlich waren Vaters Hochzeitspläne für sie eine größere Überraschung gewesen, als sie alle angenommen hatten. Er dachte daran zurück, dass er selbst von Anfang an in die Verhandlungen über seine Heirat mit Elisabeth von Löwenstein involviert gewesen war, und schalt sich für sein mangelndes Taktgefühl. »Ich bin doch froh, dass du dich um die Abrechnungen kümmerst«, sagte er mit bemüht engagierter Stimme. »Wenn ich die auch noch hier liegen hätte …« Er machte eine hilflose Geste in Richtung des papiernen Durchein anders. »Und außerdem musst du mir meine
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