Die San-Diego-Mission
nahezu unmöglich war, ihnen ihre Identität nachzuweisen. Wenn die Border Patrol insofern zehn Prozent aller Pollos schnappte, würde sie bemerkenswert gut dastehen, glaubten die Cops.
Die Männer der Border Patrol sprechen nachdenklich von la ley de fuga, vom Gesetz der Flucht. Wenn man flüchtete, wurde man erschossen. Das Gesetz Mexikos. Das Gesetz vieler »zivilisierter« Länder. Umgekehrt aber verdienten Menschenschmuggler, wie man wußte, jährlich bis zu einer Million Dollar. Ihr Gewerbe war äußerst lukrativ, und außerdem würden, wie jeder wußte, die Hälfte aller Restaurantbesitzer zwischen San Diego und Oregon wie im Schnellimbiß auf Papptellern servieren müssen, wenn es gelänge, die Ausländer irgendwann auf irgendeine wunderbare Weise zu vertreiben. Und die stinkreichen Kalifornier würden unversehens ihre Autos persönlich waschen und ihren Rasen eigenhändig schneiden und ihre Häuser selbst putzen und sich höchstpersönlich um die Erziehung ihrer Kinder kümmern müssen. Und wer, zum Teufel, würde die Ernte einbringen? Und wie würde es den zahlreichen kleinen Gewerbebetrieben gehen? Und was würde der Textilindustrie blühen? Und so weiter.
In Anbetracht eines derart unglaublich komplizierten Problems, das den Einwohnern von San Diego gleich nördlich dieser imaginären Linie sowieso nie aus dem Kopf ging, wäre es nicht nur in den Augen von Dick Snider wenig sinnvoll gewesen, mit seiner Weltverbesserungsidee hinsichtlich der vielen Tragödien, die den Gangsterbanden zugeschrieben werden mußten, einfach mir nichts, dir nichts an die Polizeiverwaltung heranzutreten. Der richtige Weg war der, nackte, nicht anzweifelbare Zahlen zu präsentieren und der Polizeiverwaltung schlicht und ergreifend klarzumachen, wie man die großen Zahlen kleiner machen konnte.
Das war nicht leicht, denn in einer Bürokratie geraten die Dinge allgemein nur sehr langsam in Bewegung. Zunächst zeigten sich die hohen Tiere von den Zahlen gar nicht sonderlich beeindruckt. Aber die bekannt gewordenen Verbrechen an Ausländern, deren Zahl Dick Snider schon immer auf höchstens ein Zehntel der tatsächlichen Vorfälle geschätzt hatte, kratzten das allerorten demonstrierte Image der »schönsten Stadt Amerikas« doch erheblich an. Eine Stadt, deren Verkehrsverein mit dem mildesten Klima der Welt eine ziemlich aufdringliche Werbung trieb – eine Stadt, immerhin, mit einem riesigen Tourismus. Eine Stadt, in die man sich zurückzog, um seinen Ruhestand zu genießen, eine Stadt zudem mit einer großen Militärbasis. Ganz anders als die größere Stadt »oben an der Straße« – gemeint war Los Angeles – stellte sich San Diego als lieblich und smogfrei dar. Und als sicher.
Die täglichen Berichte des Police Departments von San Diego sprachen jedoch eine andere Sprache:
Samstag, 23 Uhr. Spring Canyon, Raubüberfall auf Ausländer. Zwei männliche Personen mit Schußwaffen. Drei Opfer. Samstag, 21 Uhr. Deadman's Canyon, drei verdächtige Personen, zwei Opfer. Gebrauch von Messern und Macheten. Mittwoch, 20 Uhr. Raubüberfall auf Ausländer, E-2 Canyon. Gebrauch von Schlagstöcken und Steinen. Zehn Opfer. Fünf Verdachtspersonen.
Außerdem wurden die Ausländer nicht nur von den Gangsterbanden ausgeplündert, sondern es gab auch noch andere Leute, denen die Pollos – die Hühnchen, sozusagen – so verführerisch erschienen, daß sie der Verlockung nicht widerstehen zu können glaubten:
Mittwoch, 19.30 Uhr, Raubüberfall auf illegale Ausländer, Monument Road. Drei Opfer. Aus dem Hinterhalt überfallen von bewaffnetem Polizeibeamten aus Tijuana. Mittwoch, 22.45 Uhr. Raubversuch an Ausländern. Drei Opfer. Monument Road. Border Patrol verhinderte die Ausführung des Raubüberfalls. Hilfspolizist (unbewaffnet) aus Tijuana in Haft. Ein zweiter uniformierter Polizeibeamter (bewaffnet) nach Mexiko entkommen.
Freitag, 7 Uhr. Raubüberfall auf Ausländer. Verdächtig sind zwei Polizeibeamte aus Tijuana. Opfer wurden ins Gesicht geschlagen, mit Schußwaffen bedroht, es wurde ihnen mit Stöcken in die Augen gestochen. Donnerstag, 22.30 Uhr, Raubüberfall auf Ausländer. Drei Opfer wurden durch zwei männliche Verdächtige, die die Uniform der Polizei von Tijuana trugen, mit einem großen Messer bedroht und ausgeraubt.
Dann wurden die Raubüberfälle grausamer, die Eintragungen ins Wachbuch entsprechend schlimmer:
Mittwoch, 9.50 Uhr. Leiche gefunden, ½ Meile östlich von Hollister, 70 Meter nördlich der Grenzlinie.
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