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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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schrecklichen, unlogischen Schuldgefühlen heimgesucht worden, die dazu führten, dass ihr ihre Mutter im Traum erschien und Vorhaltungen machte: »Hättest du mir nur den Feuerlöscher gegeben, als ich dich darum bat. Hättest du nur ein wenig kräftiger geblasen. Aber du hörst ja nie auf das, was ich sage, und deine Lungen sind so kaputt von Zigaretten, du könntest nicht einmal eine Kerze ausblasen, geschweige denn ein brennendes Haus.« Unter den gestrengen Augen des Geistes ihrer Mutter zog sie aus Hanifs Wohnung aus, nahm sich ein Zimmer bei drei anderen Frauen, bewarb sich um Jumpy Joshis alten Job in dem Sportzentrum, bekam ihn und lag den Versicherungsgesellschaften so lange in den Ohren, bis sie bezahlten. Erst als das Shaandaar unter ihrer Leitung seine Pforten wieder öffnete, fand es Hind Sufyans Geist an der Zeit, in das Leben nach dem Tod einzutreten; woraufhin Mishal Hanif anrief und ihn bat, sie zu heiraten. Er war zu überrascht, um zu antworten, und musste den Hörer einem Kollegen übergeben, der ihr erklärte, dass es Mr. Johnson die Sprache verschlagen habe, und Mishals Angebot stellvertretend für den sprachlosen Anwalt annahm. Und so erholte sich jeder von der Tragödie; selbst Anahita, die bei einer beklemmend altmodischen Tante wohnen musste , schaffte es, bei der Hochzeit ein frohes Gesicht zu machen, vielleicht weil Mishal ihr eigene Zimmer im renovierten Shaandaar Hotel versprochen hatte. Mishal hatte Saladin gebeten, der Trauzeuge zu sein, in Anerkennung seines Versuchs, das Leben ihrer Eltern zu retten, und in Pinkwallas Lieferwagen, a uf dem Weg zum Standesamt (alle Anklagen gegen den DJ und seinen Boss , John Maslama, waren aus Mangel an Beweisen fallengelassen worden), sagte Chamcha zur Braut: »Heute ist es auch für mich wie ein neuer Anfang, vielleicht für uns alle.« Was ihn betraf, so hatte er sich einer Bypass - Operation unterzogen, hatte Schwierigkeiten, mit so vielen Todesfällen zurechtzukommen, und Alptraumvisionen, wieder zu einem schwefligem, spaltfüßigen Teufel metamorphisiert zu sein. Einige Zeit war er auch beruflich behindert; ihn quälte eine so tiefe Scham, dass er, als Auftraggeber ihn allmählich wieder verpflichten wollten und nach seinen Stimmen verlangten, etwa nach der Stimme einer tiefgefrorenen Erbse oder einer Würstchenpackung in Form einer Handpuppe, spürte, wie ihm die Erinnerung an seine telefonischen Verbrechen die Kehle hochstieg und die lautliche Darstellung im Keim erstickte. Auf Mishals Hochzeit aber fühlte er sich plötzlich frei. Es war eine richtiggehende Zeremonie, vor allem deshalb, weil das junge Paar es sich nicht verkneifen konnte, sich während der ganzen Prozedur unablässig zu küssen, so dass sie von der Standesbeamtin (einer angenehmen jungen Frau, die die Gäste ermahnte, nicht zu viel zu trinken, wenn sie noch mit dem Auto fahren wollten) aufgefordert werden mussten , sich zu beeilen und die Formalitäten hinter sich zu bringen, bevor die nächste Hochzeitsgesellschaft an der Reihe war. Anschließend ging die Knutscherei in Shaandaar weiter, die Küsse wurden immer länger und ungenierter, bis die Gäste schließlich den Eindruck hatten, sie störten nur, und sich still und leise verdrückten und Hanif und Mishal dem Genuss einer so verschlingenden Leidenschaft überließen, dass diese ihren Aufbruch nicht einmal bemerkten; ebenso wenig wurden sie der kleinen Kinderschar gewahr, die sich vor den Fenstern des Café Shaandaar versammelt hatte, um ihnen zuzusehen. Chamcha, der als letzter ging, tat den Neuvermählten den Gefallen, die Rollos herunterzulassen, sehr zum Missfallen der Kinder, und schlenderte die restaurierte High Street so leichtfüßig dahin, dass er sogar einen kleinen, verlegenen Hüpfer tat.
    Nichts währt ewig, dachte er hinter geschlossenen Lidern irgendwo über Kleinasien. Vielleicht ist Unglück das Kontinuum, durch das ein Menschenleben sich bewegt, und Freude nur eine Reihe von Leuchtpunkten, von Inseln im Strom. Oder wenn nicht gerade Unglück, dann wenigstens Melancholie…
    Diese Grübeleien wurden von einem lustvollen Schnarcher vom Nebensitz unterbrochen. Mr. Sisodia, das Whiskyglas in der Hand, war eingeschlafen.
    Der Produzent erfreute sich bei den Stewardessen offensichtlich großer Beliebtheit. Sie tüttelten um seine schlafende Gestalt herum, entwanden seinen Fingern das Glas und stellten es an einen sicheren Ort, und juchzten bewundernd über seinem schnarchenden Kopf: »Ist er nicht knuddelig?

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