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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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der menschlichen Rasse einschließt, in unserem Land zum Didi-Diener der niedersten Instinkte und Gogo-Gott zum Wesen des Bösen geworden ist.«
    BEKANNTE G ESCHICHTSKLITTERER FÜR MASSAKER VERANTWORTLICH, beh auptete ein Regierungssprecher, »progressive Elemente« hingegen wiesen diese Analyse zurück. STADTPOLIZEI VON KOMMUNALISTISCHEN AGITATOREN VERSEUCHT, lautete die Gegenthese. HIN-DU-NATIONAHSTEN LAUFEN AMOK. Ein politisches Halbmonats-blatt enthielt ein Foto von Plakaten, die vor der Juma Masjid in Old Delhi aufgestellt waren. Der Imam, ein wabbelbäuchiger Mann mit zynischen Augen, d er vormittags zumeist in seinem »Garten« - ein Ödland aus roter Erde und Schutt im Schatten der Moschee - beim Zählen der Rupien angetroffen werden konnte, die von den Gläubigen gespendet worden waren und die er einzeln aufrollte, so dass es den Anschein hatte, als hätte er die Hand voll beediartiger Zigaretten, und dem kommunalistische Ziele selbst nicht fremd waren, war offensichtlich entschlos sen, sich den Horror von Meerut zunutze zu machen. Löscht das Feuer in unsrer Brust, schrien die Plakate. Grüßt voll Ehrfurcht jene, denen das Märtyrertum durch die Kugeln der Polis zuteilwurde Auch: Weh! Weh! Weh!
    Weckt den Premier! Und schließlich der Aufruf zu handeln: Bandh wird eingehalten, und das Datum des Streiks.
    »Schlechte Zeiten«, fuhr Sisodia fort. »Für Fifi-Filme ebenso wie fürs Fernsehen und die Wiwi-Wirtschaft hat das schschädliche Auswirkungen.« Er heiterte wieder auf, als sich eine Stewardess näherte. »Ich bekenne, dass ich ein Mimi-Mitglied des Mile-high-Clubs bin«, sagte er fröhlich in Hörweite der Bediensteten. »Und Sie? Soll ich schauen, was ich für Sie tutu-tun kann?«
    Nein, zu welchen Dissoziationen der menschliche Geist fähig ist, staunte Saladin düster. Nein, die widerstreitenden Seiten des Ichs, die in diesen Hauttaschen schütteln und rütteln. Kein Wunder, dass wir uns nicht sehr lange auf etwas konzentrieren können; kein Wunder, dass wir Fernbedienungsgeräte zum Kanalhüpfen erfinden. Würden wir diese Instrumente auf uns selbst richten, wir würden auf mehr Kanäle stoßen, als es sich ein Kabel-oder Satellitenmogul je träumen ließe… Er selbst erlebte am eigenen Leib, wie seine Gedanken, gleichgültig, wie sehr er versuchte, sie auf seinen Vater zu konzentrieren, stets wieder zu Miss Zeenat Vakil zurückkehrten. Er hatte voraustelegrafiert und sie von seiner Ankunft in Kenntnis gesetzt; ob sie ihn am Flughafen abholte? Was könnte oder könnte nicht zwischen ihnen geschehen? Hatte er, indem er sie verließ, indem er nicht wieder zurückkam, indem er eine Zeitlang keinen Kontakt aufnahm, das Unverzeihliche getan?
    War sie - dachte er, und war entsetzt von der Erkenntnis, dass ihm das nicht schon früher eingefallen war - verheiratet?
    Verliebt? Zugange? Und was ihn selbst betraf: was wollte er wirklich? Wenn ich sie sehe, weiß ich es, dachte er. Die Zukunft, auch wenn es nur ein von Fragen vernebeltes Schimmern war, würde nicht von der Vergangenheit verdunkelt werden; selbst wenn der Tod sich der Bühnenmitte näherte, fuhr das Leben fort, um Gleichberechtigung zu kämpfen.
    Der Flug verlief ohne Zwischenfall.
    Zeenat Vakil wartete nicht im Flughafen.
    »Kommen Sie«, winkte Sisodia. »Mein Wagen hoho-holt mich ab, ich nehme Sie mit.«
     
    Fünfunddreißig Minuten später war Saladin Chamcha in Scandal Point, stand vor den Toren seiner Kindheit, mit Reisetasche und Kleidersäcken, und betrachtete die importierte Videoüberwachungsanlage am Eingang. Antidrogen-Parolen waren an d ie Wand um das Gel ände gemalt: TRÄUME GEHEN DOWN - WENN ZUKKE R IST BRAUN. Und: ZUKUNFT IST SCHWARZ - WENN ZUCKER IST BRAUN. Nur Mut, Alter, redete er sich zu; und klingelte, wie ein Sc hild es gebot, einmal kräftig.
    In dem üppigen Garten zog der Stumpf des gefällten Walnussbaums seinen unruhigen Blick auf sich. Möglich, dass sie ihn jetzt als Picknicktisch benutzen, sinnierte er verbittert.
    Sein Vater hatte immer eine Gabe zu melodramatischen, selbstmitleidigen Gesten gehabt, und von einer Fläche, die mit so viel emotionaler Wucht vollgepackt war, das Mittagessen einzunehmen - ohne Zweifel mit tiefen Seufzern zwischen den großen Happen -, würde gut zu ihm passen. Ob er auch seinen Tod dramatisieren würde, fragte sich Saladin. Was für ein abendfüllendes Spiel um Mitgefühl der alte Sack jetzt veranstalten könnte! In seiner Nähe waren alle der Gnade eines Sterbenden ausgeliefert.

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