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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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besänftigen; man macht sie zu Werkzeugen, und sie tanzen einem nach der Pfeife. Der Mensch ist da eine härtere Nuss , imstande, alles zu bezweifeln, sogar das, was er mit eigenen Augen sieht. Das, was hinter den eigenen Augen vor sich geht. Das, was hinter geschlossenen Glotzern ausgebrütet wird, wenn sie schwerlidrig zufallen… Engel haben nicht gerade einen eisernen Willen. Einen Willen haben, heißt widersprechen; sich nicht unterwerfen; anderer Meinung sein.
    Ich weiß; hier spricht der Teufel. Schaitan fällt Gibril ins Wort.
    Mir?
    Der Geschäftsmann: sieht aus, wie er soll, hohe Stirn, Adlernase, breite Schultern, schmale Hüften. Nicht zu groß, nicht zu klein, nachdenklich, in zwei Bahnen einfachen Tuchs gekleidet, jede vier Ellen lang, eine um den Körper drapiert, die andere über die Schulter. Große Augen; lange Wimpern wie ein Mädchen. Seine Schritte mögen zu lang scheinen für seine Beine, aber er geht leichtfüßig. Waisenkinder lernen, ein bewegliches Ziel zu sein, entwickeln einen raschen Gang, schnelle Reaktionen, Pass -auf-was-du-sagst-Vorsicht. Hinauf durch Dornbüsche und Balsambäume steigt er, krabbelt über Felsblöcke, der Mann ist fit, kein dickwanstiger Wucherer, o nein. Und um es nochmals zu betonen: es muss ein seltsamer Geschäftswalla sein, der in die Wildnis abhaut, hinauf auf den Mount Cone, manchmal für einen ganzen Monat, nur um allein zu sein.
    Sein Name: ein Traum-Name, verändert durch die Vision.
    Korrekt ausgesprochen, bedeutet er Der-für-den-man-Dank-sagen-soll, aber darauf reagie rt er hier nicht; ebenso wenig - obwohl er sich durchaus bewusst ist, wie man ihn nennt - auf seinen Spitznamen, den man ihm unten in Jahilia anhängt: Der-den-alten-Coney-rauf-und-runter steigt. Hier ist er weder Mahomed noch MoeHammered ; hat stattdessen das Teufels— Etikett angenommen, das ihm die Farangis um den Hals hängten. Um Kränkungen in Stärke zu verwandeln, haben Whigs, Torys, Schwarze sich dazu entschlossen, stolz die Namen zu tragen, die ihnen voller Verachtung gegeben wurden; auf ebendiese Weise wird unser bergsteigender, prophetenberufener Einzelgänger zum mittelalterlichen Kinderschreck, zum Synonym für den Teufel werden: Mahound.
    Das ist er. Mahound, der Geschäftsmann, wie er auf seinen heißen Berg im Hidschas steigt. Die Luftspiegelung einer Stadt schimmert unter ihm in der Sonne.
     
    Die Stadt Jahilia ist gänzlich aus Sand erbaut, ihre Strukturen von der Wüste geformt, aus der sie sich erhebt. Sie ist ein erstaunlicher Anblick: von Mauern umgeben, mit vier Toren versehen ganz und gar ein Wunder, gewirkt von seinen Bewohnern, die gelernt haben, den feinen weißen Dünensand dieser verlassenen Gegend - der Stoff aus dem die Unbeständigkeit ist, die Quintessenz der Nichtseßhaftigkeit, der Veränderung, des Verrats, des Mangels an Form -
    umzuwandeln, und ihn, mittels Alchimie, zum Grundstoff ihrer neu ersonnenen Sesshaftigkeit gemacht haben.
    Diese Menschen haben erst vor drei oder vier Generationen ihre nomadische Vergangenheit aufgegeben, während derer sie entwurzelt wie die Dünen waren, oder vielmehr verwurzelt in dem Wissen, dass das Umherwandern selbst das Zuhause ist.
    Wogegen der Auswanderer auf die Reise verzichten kann -
    es ist nicht mehr als ein notwendiges Übel; wichtig ist anzukommen.
    Vor nicht allzu langer Zeit also und gemäß der Art der gewitzten Geschäftsleute, die sie waren, ließen sich die Bewohner von Jahilia am Schnittpunkt der großen Karawanenrouten nieder und unterwarfen die Dünen ihrem Willen. Jetzt dient der Sand den mächtigen Kaufleuten der Stadt. Zu Kopfsteinen gehauen, pflastert er Jahilias gewundene Straßen; nachts lodern go ldene Flammen aus Kohlenpfannen aus poliertem Sand. Die Fenster, die länglichen, schlitzförmigen Fenster in den unendlich hohen Sandwänden der Kaufmannspaläste sind verglast; in den Gassen Jahilias rollen Eselskarren auf glatten Siliziumrädern dahin. Ich, in meiner Bosheit, stelle mir manchmal vor, wie sich eine riesige Woge nähert, eine hohe Wand schäumenden Wassers, die durch die Wüste braust, eine flüssige Katastrophe voll von berstenden Booten und ertrinkenden Armen, eine Flutwelle, die diese eitlen Sandburgen wieder zu dem Nichts macht, zu den Sandkörnern aus denen sie errichtet sind. Aber hier gibt es keine Wellen.
    Wasser ist der Feind Jahilias. Es wird in irdenen Töpfen getragen und kein Tropfen darf verschüttet werden (das Strafgesetzbuch verfährt streng mit Zuwiderhandelnden),

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