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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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denn wo es hintropft, wird die Stadt in besorgniserregendem Maße ausgelöscht. Die Straßen werden löchrig, Häuser neigen sich und schwanken. Die Wasserträger von Jahilia sind eine verabscheute Notwendigkeit, Parias, auf die man nicht verzichten kann und denen deswegen nichts vergeben wird. Es regnet nie in Jahilia; keine Brunnen stehen in den Siliziumgärten. Ein paar Palmen wachsen in den von Mauern umgebenen Innenhöfen, auf der Suche nach Feuchtigkeit schlagen sie ihre Wurzeln tief in die Erde. Das Wasser der Stadt kommt aus unterirdischen Wasserläufen und Quellen; eine davon ist die sagenumwobene Quelle von Zamzam im Herzen der konzentrisch angelegten Sandstadt, neben dem Haus des Schwarzen Steins. Hier, in Zamzam, gibt es einen Beheschti, einen verachteten Wasserträger, der die lebensnotwendige, gefährliche Flüssigkeit heraufholt. Er hat einen Namen: Khalid.
    Eine Stadt der Geschäftsleute, Jahilia. Der Name des Stammes lautet Schark.
    In dieser Stadt begründet der zum Propheten gewordene Geschäftsmann Mahound eine der großen Religionen der Welt; und an diesem Tag, seinem Geburtstag, beginnt die Krise seines Lebens. Eine Stimme flüstert ihm ins Ohr: Was für eine Art Idee bist du? Mann oder Maus? Wir kennen diese Stimme, wir haben sie schon einmal gehört.
    Während Mahound auf den Coney steigt, feiert Jahilia ein anderes Jubiläum. Vor langer Zeit kam der Patriarch Ibrahim mit Hagar und Ismail, ihrem gemeinsamen Sohn, in dieses Tal.
    Hier, in dieser wasserlosen Wildnis, verließ er sie. Sie fragte ihn, kann das Gottes Wille sein? Er antwortete, ja, das ist er.
    Und machte sich davon, der Dreckskerl. Von allem Anfang an benützten die Menschen Gott, um das nicht zu Rechtfertigende zu rechtfertigen. Seine Wege sind unerforschlich: sagen die Männer. Kein Wunder also, dass sich die Frauen mir zugewandt haben. Aber ich will nicht abschweifen; Hagar war keine Hexe.
    Sie baute auf ihn: dann wird Er mich gewiss nicht untergehen lassen. Nachdem Ibrahim sie verlassen hatte, gab sie dem Kind die Brust, bis sie keine Milch mehr hatte. Dann kletterte sie auf zwei Hügel, zuerst auf Safa, dann auf Marwah, lief in ihrer Verzweiflung vom einen zum anderen und hielt Ausschau nach einem Zelt, einem Kamel, einem menschlichen Wesen. Sie erblickte nichts. Da kam er zu ihr, Gibril, und zeigte ihr die Wasser von Zamzam. So überlebte Hagar; aber warum versammeln sich jetzt die Pilger? Um Hagars Errettung zu feiern? Nein, nein. Sie feiern die Ehre, die dem Tal durch den Besuch von - Sie haben es erraten - Ibrahim zuteilwurde . Im Namen dieses liebevollen Gemahls versammeln sie sich, huldigen ihm und geben vor allem Geld aus.
    Heute besteht Jahilia ganz aus Düften. Alle Wohlgerüche von Arabien, von Arabia Odorifera, hängen in der Luft; Balsam, Kassie, Zimt, Weihrauch, Myrrhe. Die Pilger trinken den Wein der Dattelpalme und wandeln auf dem großen Jahrmarkt zu Ehren Ibrahims. Und unter ihnen wandelt einer, dessen gefurchte Stirn ihn von der fröhlichen Menge abhebt: ein hochgewachsener Mann in einem losen, weißen Gewand, ist er fast einen ganzen Kopf größer als Mahound. Der Bart folgt den Konturen der schrägen, hohen Backenknochen; sein Gang ist behände und federnd, die tödliche Eleganz der Macht. Wie heißt er? Die Vision gibt schließlich seinen Namen preis; auch er ist vom Traum verändert. Hier ist er, Karim Abu Simbel, Grande von Jahilia, Eh emann der wilden, schönen Hind. Oberhaupt des herrschenden Rates der Stadt, über alle Maßen reich, Eigentümer der einträglichen Tempel an den Stadttoren, gesegnet mit unzähligen Kamelen, Herrscher über die Karawanen, seine Frau die Schönste im ganzen Land: was konnte die Gewissheiten eines solchen Mannes erschüttern?
    Und dennoch naht auch für Abu Simbel eine Krise. Ein Name quält ihn, und Sie können sich denken, wie er lautet: Mahound Mahound Mahound.
    Ach, die Pracht und die Herrlichkeit des Jahrmarktes von Jahilia! In riesigen, duftenden Zelten werden Gewürze feilgeboten, Sennesblätter, wohlriechende Hölzer; hier konkurrieren die Duftverkäufer um die Nasen der Pilger und um ihre Brieftaschen. Abu Simbel bahnt sich einen Weg durch die Menge. Jüdische, monophysitische, nabatäische Händler kaufen und verkaufen Gold und Silber, wägen es in der Hand, beißen auf Münzen mit kundigen Zähnen. Hier liegt Leinen aus Ägypten, Seide aus China, Waffen und Getreide aus Basra. Es wird gespielt, getrunken und getanzt. Sklaven werden zum Verkauf angeboten,

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