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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Nubier, Anatolier, Äthiopier. Die vier Parteiungen des Stammes der Schark kontrollieren vier voneinander getrennte Bereiche des Marktes, Duftstoffe und Gewürze in den Purpurroten Zelten, Stoffe und Leder in den Schwarzen Zelten. Die Silberhaarige Gruppe beaufsichtigt den Handel mit Edelmetallen und Schwertern. Die Vergnügungen - Würfelspiel, Bauchtänzerinnen, Palmwein, Haschisch-und Afeemrauchen - sind Vorrecht des vierten Teils des Stammes, der Besitzer der Scheckigen Kamele, die auch den Sklavenhandel betreiben. Abu Simbel wirft einen Blick in ein Tanzzelt. Pilger sitzen herum, halten krampfhaft Geldbeutel in der linken Hand; hin und wieder wandert eine Münze aus dem Beutel in die rechte Hand. Die Tänzerinnen schütteln sich und schwitzen, nie lassen sie die Fingerspitzen der Pilger aus den Augen; wenn der Münzfluß zum Stillstand kommt, endet auch der Tanz. Der große Mann verzieht das Gesicht und wendet sich ab.
    Jahilia wurde konzentrisch in unregelmäßigen Ringen errichtet, die Häuser erstrec ken sich vom Haus des Schwarzen Steins nach außen, in etwa gemäß Reichtum und Rang. Abu Simbels Palast liegt im ersten Kreis, dem innersten Ring; er geht durch eine der gewundenen, zugigen, strahlenförmig angelegten Straßen, vorbei an den vielen Sehern der Stadt, die als Gegenleistung für Pilgergeld zirpen, gurren, zischen und abwechselnd von Vogel-, Raubtier-und Schlangendschinns besessen sind. Eine Zauberin, einen Augenblick unachtsam, hockt sich ihm in den Weg: »Wollen Sie das Herz eines Mädchens erobern, mein Lieber? Wollen Sie einen Feind im Staub zertreten? Versuchen Sie es mit mir; versuchen Sie es mit meinen kleinen Knoten!« Und sie hält eine Schnur mit Knoten in die Höhe, lässt sie baumeln, die Fängerin menschlichen Lebens - aber jetzt, da sie sieht, mit wem sie spricht, sinkt ihr enttäuschter Arm, und sie schleicht vor sich hinbrummend fort, in den Sand.
    Überall Lärm und Gedränge. Dichter stehen auf Kisten und deklamieren, während Pilger ihnen Münzen zu Füßen werfen.
    Barden sprechen Rajaz-Verse, deren viersilbiges Versmaß der Sage nach auf die Gangart des Kamels zurückgeht; andere rezitieren die Qasidah, Gedichte über unberechenbare Geliebte, Wüstenabenteuer, die Jagd auf den Onager. In ein paar Tagen wird der jährliche Dichterwettstreit stattfinden, nach dessen Beendigung die sieben besten Verse an die Wände des Hauses des Schwarzen Steins genagelt werden. Die Dichter bringen sich in Form für ihren großen Tag; Abu Simbel lacht über die Sänger, die boshafte Satiren zum besten geben, gehässige Oden, die von einem Stammesführer gegen den anderen in Auftrag gegeben wurden. Und nickt grüßend, als einer der Dichter neben ihm herzugehen beginnt, ein junger, schmaler Mann mit scharfen Zügen und nervösen Fingern.
    Dieser junge Verfasser von Schmähschriften hat bereits die gefürchtetste Zunge in ganz Jahilia, aber zu Abu Simbel ist er nahezu ehrerbietig. »Warum so nachdenklich, Grande? Wenn Euch nicht die Haare ausgingen, dann würde ich Euch raten, sie offen zu tragen.« Abu Simbel grinst sein schiefes Grinsen.
    »Ein solches Ansehen«, sinnt er. » So viel Ruhm, noch bevor dir die Milchzähne ausgefallen sin d. Pass auf, oder wir werden sie dir ziehen müssen.« Er spricht im Spaß, leichthin, aber selbst diese Leichtigkeit ist mit Drohung verbrämt, aufgrund des Ausmaßes seiner Macht. Der Junge ist ungerührt. Im Gleichschritt mit Abu Simbel antwortet er: »Für jeden, den du ziehst, wird ein stärkerer nachwachsen, der tiefer beißen und heißeres Blut herausschießen lassen wird.« Der Grande nickt kaum merklich. »Du magst den Geschmack von Blut«, sagt er.
    Der Junge zuckt die Achseln. »Die Aufgabe des Dichters«, antwortet er. »Das Unnennbare zu benennen, Betrug aufzudecken, Stellung zu beziehen, Auseinandersetzungen in Gang zu bringen, die Welt zu gestalten und sie am Einschlafen zu hindern.« Und wenn aus den Wunden, die seine Verse reißen, Ströme von Blut fließen, so werden sie ihn nähren. Er ist Baal, der Satiriker.
    Eine Sänfte mit zugezogenen Vorhängen gleitet vorbei; irgendeine vornehme Dame der Stadt, auf den Schultern von acht anatolischen Sklaven getragen, um den Jahrmarkt zu sehen. Abu Simbel nimmt den jungen Baal am Ellbogen, unter dem Vorwand, ihn aus dem Weg zu ziehen; murmelt: »Ich habe gehofft, dich zu treffen; wenn du gestattest, auf ein Wort.« Baal bewundert das Geschick des Granden. Auf der Suche nach einem Mann kann er seine

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