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Die Sau und der Mörder

Die Sau und der Mörder

Titel: Die Sau und der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Springenberg/Michael Bresser
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Gänseblümchen mit der stolzen Rose in einem Atemzug nennen .« Mannmannmann, war ich hier eigentlich bei den Serapions- oder bei den Sensibelbrüdern?
    »Leider habe ich noch nichts von Grutz gelesen«, erwiderte ich mit sanfter Stimme. Einer musste ja in diesem Affenstall die Ruhe bewahren.
    »Das sollten Sie aber, Herr Nannen, das sollten Sie! Grutz hat die Lyrik der neunziger Jahre revolutioniert. Er ist, bis auf meine Wenigkeit, der bedeutendste Poet, den Dülmen hervorgebracht hat .«
    Mich wunderte, dass niemand Cellerts Eigenlob störte. Vielleicht lag es daran, dass er mit der Geschwindigkeit eines Wasserfalls sprach.
    »Ich trage Ihnen jetzt ein Gedicht von Hermann Grutz vor. Dann können Sie sich selbst ein Urteil bilden. Es heißt strauchdunkel.

    strauchdunkel, lila, die berge
    bluten gen firmament, der stachel
    wirbt gegen Verletzung, es klingelt
    darin am abend, das nichts nichtzt,
    das sein zum nichts, wiederum nichts,
    der blutegel spuckt dich zu, nichtsend.

    trocken, versandet,
    das brett hinter dir verschläft
    die stunden unten im meer, milchiges
    priel schmatzt in der wäschetrommel,
    steingequassel oben, klafft ins gefels,
    leuchtende vergänglichkeit, morgen mittag,
    morgen, morgen, morgen, morgen.

    Nun, was halten Sie davon ?«
    Was sollte ich davon halten? Mir persönlich gefiel strauchdunkel genauso gut wie Xtras Pennälerverse. Wenn man Grutz für diesen Sermon den Eichendorffpreis verliehen hatte, war es um die zeitgenössische Lyrik arm bestellt. Aber ich war sowieso eher prosaisch veranlagt, traf mich fundamentale Selbsterkenntnis wie ein Blitzschlag.
    »Die Verbindung von moderner Existenz in Rückgriff auf Heideggers Seinsbegriff wurde hervorragend herausgearbeitet. Chapeau, Hermann. Aber kommen wir jetzt zu meinem Spezialgebiet: Herr Vaganz hat erwähnt, dass Grutz sich bei den Recherchen zu seinem neuen Roman >Die Gestohlene Prostata< viele Feinde gemacht haben soll. Halten Sie das für wahrscheinlich ?«
    »Ich kenne dieses Buch nicht«, wurde Strass allmählich wieder ruhiger. Die anderen pflichteten ihm bei.
    »Und warum glauben Sie dann, dass der Selbstmord keiner war ?« , wandte ich mich direkt an Augustus.
    »Ich wüsste keinen Grund, warum Hermann des Lebens überdrüssig geworden sein soll. Er hatte keine finanziellen Sorgen, besaß eine ihn abgöttisch liebende Freundin und erfuhr in unserer Gemeinschaft die ihm gebührende Anerkennung .«
    »Wie kommt Vaganz dann dazu, mir von einem Buch über Organhandel zu erzählen ?«
    »Möglicherweise handelt es sich dabei um das Werk, an dem Hermann vor seinem Tod gearbeitet hat. Mit uns hat er nie über seine Belletristik gesprochen. Vielleicht hat er sich mit Anton darüber unterhalten. Erstaunlicherweise waren die beiden die besten Freunde. Ganz im Vertrauen: Wir vermuten, dass Hermann ihn zum Intimus erkoren hat, weil dieser am wenigsten mit ihm konkurrieren konnte .«
    »Dann muss ich Vaginowski wohl erneut löchern, falls er überhaupt noch mit mir redet«, sah meine Zukunft nicht rosig aus. Ein Fluch auf meinen Hang zur Ehrlichkeit.
    »Darüber würde ich mir keine grauen Haare wachsen lassen .« Hein schien immer zu grinsen, wenn über Vaganz geredet wurde. »Nach jeder Lesung rennt er beleidigt hinaus. Zum Glück oder besser zum Unglück legt sich sein Ärger schnell. Er kann es sich halt nicht leisten, die einzigen Leute zu verlieren, die sich sein Gesülze noch anhören .«
    Da es den Anschein hatte, dass hier nichts Brauchbares mehr zu erfahren war, erhob ich mich: »Vielen Dank für den Einblick in das Wirken der Serapionsbrüder. Meine Herren! Ich werde Sie auf dem Laufenden halten .«
    Strass begleitete mich zur Tür, da der Gastgeber gerade auf dem Lokus weilte. Ich konnte es ihm nicht verdenken, mir war das Ganze auch auf den Magen geschlagen.
    »Sie dürfen mir das Missverständnis von vorhin nicht übelnehmen. Ich hege halt eine Abneigung gegen Leute, die sich ihrer Klassenzugehörigkeit nicht bewusst sind«, klopfte er mir auf die Schulter.
    »Schon okay. Was sind Sie von Beruf? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie von der Dichtung leben können .«
    »Da haben Sie leider recht«, seufzte Augustus, »ich unterrichte Deutsch und Geschichte an der Sendener Hauptschule .« Wahrscheinlich beherrschten seine Schüler nicht einmal die fundamentalsten Rechtschreibregeln, kannten dafür aber »Das Kapital« in- und auswendig.
    Ich verabschiedete mich, kletterte nach unten und trat ins Freie. Es musste geregnet

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