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Die Sau und der Mörder

Die Sau und der Mörder

Titel: Die Sau und der Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Springenberg/Michael Bresser
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Arbeitsprozess eingespannt, dass es Natur nur noch während der beruflichen Tätigkeit rezipieren kann. Ein Aufruf zum Widerstand gegen die herrschende Klasse.«
    Vaginowski hatte schon den Mund geöffnet, um etwas zu entgegnen, als ihm Cellert zuvorkam. Er war mit Abstand der Jüngste in der Runde. Wäre sein Gesicht nicht durch Aknenarben entstellt gewesen, hätte er gute Chancen besessen, als Starschnitt in der Bravo zu landen. Sein schwarzes Haar fiel lockig auf die Schultern. Kleine Grübchen unter den Augen nahmen seinem Gesicht den Ernst, den die anderen Dichter an den Tag legten.
    »Vielleicht sollten wir uns heute kürzer halten, damit Herr Nannen seine Fragen stellen kann .«
    Etwas beleidigt gab Vaganz zu, dass dies eine ma-gnifikante Idee sei, und Gisbert verzichtete mit sichtlichem Bedauern auf seinen Vortrag. Soweit wollte Vaginowski allerdings nicht gehen. Den letzten Zuwachs seines Œuvres müsse er einfach zum Besten geben, wo Herr Nannen sich so darauf gefreut habe. Da ich wusste, dass Widerspruch zwecklos war, ließ ich ihn gewähren.
    Mein Auftraggeber faltete einen rosafarbenen Zettel auseinander und erhob sich mit einer pathetischen Geste:

    »Ode ans Elysium

    Mir war, als hätt der Orpheus
    Eurydike still geküsst.
    Dass sie im Blütenzimmer
    Nur von ihm träumen müsst.

    Die Lüfte, Frücht der Fächer,
    Schimären zogen bedacht,
    Vor der Tür gar viele Dächer,
    So lieblich, ach, so sacht.

    Und meine Seele rannte
    Weit aus dem Spann heraus,
    Gelobt sei frei, andante,
    Schönheit Münsteraner Himmelblaus .«

    »Sie jämmerlicher Epigone wagen es, uns dieses Konglomerat aus Brentano und Vaginowski vorzusetzen ?« , hatte Strass’ Kopf eine dunkelrote Färbung angenommen. »Sie hätten den Anstreicherberuf nicht aufgeben sollen, als Dichter taugen Sie nämlich nicht die Bohne. Sie greifen meinen Großen Ast an und lesen selbst etwas teilweise wörtlich Abgeschriebenes vor. Sie haben es nicht verdient, sich Dülmener Serapionsbruder zu nennen !«
    Vaganz sah aus, als stünde er kurz vor einem Infarkt: »Sie sind degoutant, mon ami. Meine Verse lobpreisen unser herrliches Westfalen. Dies ist in der langen Historie Münsterländer Dichtung noch nie so gekonnt vorgekommen. Allein das Versmaß ist revolutionär antitraditionell eingesetzt. Ich nenne es den jambischen Dreisprung. Ein Novum, eine Weltsensation. Eine Frechheit, mich bloßstellen zu wollen. Noch Generationen werden inniglich verzückt meine Worte memorieren. Aber fragen wir einen neutralen Beobachter: Herr Nannen, was halten Sie von meinem Poem ?«
    Den Mandanten verärgern oder lügen, dass das Gebälk zusammenkrachte?
    »Wenn Sie mich so direkt fragen: Ich persönlich kann Herrn Strass nicht recht geben«, ließ ich Xtra um einige Zentimeter wachsen und triumphierend in die Runde blicken. »Sie haben nicht von Brentano, sondern von Eichendorff abgeschrieben .«
    »Ich hatte Sie für einen Freund gehalten, aber Sie stoßen mir den Dolch in die klaffende Wunde. Ich kenne Sie nicht mehr, meine Herren !« Im Sturmschritt verließ der vor Wut kochende Poet den Raum, und kurz darauf fiel die Haustür mit einem lauten Knall ins Schloss.
    »Es ist jedes Mal dasselbe«, hatte Strass sich noch immer nicht abgeregt. »Der werte Herr ist einfach nicht fähig, auch nur die leiseste Kritik an seinen Ergüssen zu ertragen .«
    »Sie sollten seine Gedichte nicht andauernd in der Luft zerreißen«, meldete sich Cellert zu Wort. »Bedenken Sie, dass Vaganz nach Grutz’ Ableben unser größter Hoffnungsträger ist. Viele Leser lieben seine Poesie abgöttisch, und ich schätze, dass ihm am ehesten der kommerzielle Durchbruch gelingen könnte .«
    »Aber es ist doch alles abgeschrieben! Wenn selbst Herr Nannen, der, mit Verlaub, literarischer Laie ist, seine Werke richtig einzuordnen weiß, dann kann es die Fachwelt auch. Und auf die kommt es uns doch an .«
    »Was stört mich die Fachwelt? Ich will meine Schmöker verkaufen, und wenn ich mich dafür mit Vaganz gut stellen muss, dann ist er halt ein zweiter Goethe .«
    Es wurde Zeit, von vereinsinternen Grundsatzdiskussionen wegzukommen und Hermanns Rolle in dieser Gemeinschaft zu erörtern: »War Grutz ein ebenso begabter Dichter wie Vaganz ?«
    »Nannen !« , polterte auf einmal Heiner Hein los. »Eben haben Sie noch durch fundierte literaturgeschichtliche Kenntnisse geglänzt, und jetzt begehen Sie den Fauxpas, Grutz und Vaganz auf eine Stufe zu stellen. Ebenso gut könnten Sie das gemeine

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