Die Scanner
nicht, werde es besser bis morgen, zwölf Uhr.«
Der Abschied
Alles, was von Jojo blieb, passte in eine Schublade. Und die war kleiner als eine Mobril-Brillenbox. Ich wartete mit Jojos Eltern vor diesem Kästchen im 14. Untergeschoss der Beisetzungshalle. Am Haupteingang hatte ich meinen Finger auf die Tür gedrückt. Ich erhielt Einlass und die Wegbeschreibung.
Im 14. Untergeschoss angekommen, lief ich an Tausenden beschrifteten Schubladen vorbei. Ich musste bei diesem unterirdischen Labyrinth an die Rikscha-Fahrt durch die engen Gassen der C-Zone denken. Hier unten hatte ich nur die sanfte Stimme des Navigators im Ohr. Er führte mich durch die Gänge.
»Jetzt links abbiegen und bitte kurz warten!«
Zwei weitere Beisetzungen fanden auf meinem Weg statt. Da konnte ich nicht vorbei, der Weg war zu eng. Doch die Beisetzungen waren kurz. Fünf Minuten durften sie dauern, keine Sekunde länger.
»Bitte zügig weiter. Noch 20 Schritte.«
Ich zählte bis 15, machte zu große Schritte offenbar.
»Sie haben Ihr Ziel erreicht!«, sagte der Navigator.
Wir warteten auf die Geistliche. Wir sprachen nicht über die Schlagzeilen auf Ultranetz. Kein Wort verloren wir über Jojo, den Super-Terroristen . Wir schwiegen uns an. Sicher hatten Jojos Eltern genauso einen Kloß im Hals wie ich.
Jojo war überhaupt nicht religiös gewesen. Seine Eltern schon eher. Sie waren nicht wirklich Juden, Christen, Muslime, Hindus, Buddhisten oder sonst etwas, sondern eine Mischung aus all dem. Im 14. Untergeschoss konnte für ihren Glaubensmix das Passende gebucht werden.
9.14 Uhr, eine Minute vor Beginn der Beisetzung, stand die Geistliche vor uns. Sie war vielleicht Mitte 40, überragte mich um zwei Köpfe, hatte eine Narbe über dem rechten Auge und natürlich eine Glatze. Sie trug ein gelbes Kleid mit handbreiten, lila Streifen ohne Aufschrift oder Symbole.
Sie verbeugte sich tief vor uns. Sie zog Jojos Schublade heraus und stellte einen kleinen dunkelroten Buddha auf die Asche. Der streckte die Arme ausladend von sich und strahlte über beide Wangen.
Die Geistliche las eine Stelle aus der Tora vor.
30 Sekunden.
Rezitierte drei Verse aus dem Koran.
Eine Minute.
Sprach kurz von Jesus’ Kreuzigung.
Eine Minute und 30 Sekunden.
Erzählte stichwortartig von der Lehre des Karma.
Die ersten zwei Minuten waren vorbei.
Ein Animator klappte aus der Decke über uns.
Mzzzp.
Jojo auf dem Arm seiner Mutter als Baby. Es roch nach Babyöl im dunklen Flur.
Schnitt.
Erster Schultag mit lautem Kreischen auf dem Schulhof. Überall vor den Schubladen der Duft von Popcorn und Orangensaft.
Schnitt.
Jahresurlaub im Ferienressort (Parkhalle Sonne & Strand). Eine sanfte Brise wehte uns entgegen. Ich schmeckte Salz auf den Lippen.
Schnitt.
Abschlussfeier der Uni. Sektkorken knallten.
Schnitt.
Wir beide als Buchagenten.
Schnitt.
Der Animator verstummte.
20 Sekunden sollten wir schweigen und Jojos gedenken. 40 Sekunden blieben für Worte, die wir an ihn richten wollten. Die Eltern hatten etwas geplant.
»Mobril. Rede. Jojo«, sagte der Vater mit zitternder Stimme. Irgendetwas klappte nicht.
»Mobril. Rede. Jojo.«
Inzwischen weinte er.
Die Mobril behielt die Rede für sich. Ich tippte auf Probleme mit der Stimmerkennung. Jojos Eltern hatten noch die dritte Mobril-Generation. Das durfte doch alles nicht wahr sein. Ich hatte überhaupt nichts geplant, wusste aber, was ich Jojo noch sagen wollte.
Ich glaubte gar nicht an so etwas. Also an ein weiteres Leben nach dem Tod. Ohne alles. Ohne Ultranetz.
»Was ich heute mache, mache ich auch für dich. Die Ultra-News lügen. Das weiß ich. Ich werde …«
»Zeremonie beendet«, unterbrach mich die Geistliche. Sie verwies auf die nächste Beisetzung im Gang B.
»Bitte kurz festhalten«, sagte sie und übergab mir den Buddha. Er hatte Aschestaub an den Füßen. Sie presste mit beiden Händen die Schublade in die Wand. Zur Versiegelung schloss sie die kleine Grabstätte mit einem silbernen Plastikschlüssel ab.
Die Geistliche verbeugte sich vor uns. Jojos Vater drückte den Finger auf ihren mobilen Zahlungsempfänger und sie schritt davon. Wir starrten zu dritt auf die Schublade. Ich senkte den Kopf und entdeckte den Buddha in meiner Hand. Ich holte die Geistliche schnell ein.
»Sie haben Ihren Buddha vergessen.«
Sie umschloss meine Hand und den Buddha mit ihren langen Fingern.
»Behalte ihn. Du wirst einen Glücksbringer brauchen.« Ich wunderte mich über die Antwort, aber
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