Die Scanner
sanfte Stimme.
»Jaaaaaa.«
»Die Rauchmelder geben Entwarnung. Sie wollen dennoch einen Alarm auslösen?«
»Jaaaa doch.«
»Sind Sie ganz sicher, dass Sie einen Alarm auslösen wollen? Der Missbrauch ist strafbar!«
Ein 40 Paragraphen umfassender Text flackerte neben dem Schalter auf.
»Stimmen Sie zu?«, fragte mich die Stimme.
Ich schrie ein letztes »Jaaaaa«.
»Bitte verlassen Sie ruhig, aber umgehend das Gebäude«, dröhnte es aus den Boxen im K -Flur. Und vermutlich überall sonst in der Beisetzungshalle.
Die Ansage wiederholte sich, und die Tür glitt endlich auf. Ich fand mich in einem Treppenhaus wieder, und Hunderte Stufen führten schräg nach oben. 14 Etagen erwarteten mich. So viel war klar.
Irgendwo zwischendurch machte ich eine Pause. Ich setzte mich hustend auf den Boden. Von den Sicherheits-Scannern hörte ich nichts. Waren sie mir gar nicht ins Treppenhaus gefolgt? Gab es mehrere Türen, die sich mit dem Brandalarm öffneten? Hatte die Geistliche ihnen den falschen Weg gewiesen? Sie hatte verstanden, wie gefährlich meine kurze Trauerrede war. Im Gegensatz zu mir.
Die Tür am Ausgang stand offen. Meine Augen brannten vom Schweiß, und die Helligkeit machte mich fast blind. Ich setzte mich auf den betonierten Boden und hielt schützend die Hand vor den Kopf.
»Hey, Sie!«, rief eine kräftige Männerstimme.
Ich sprang auf und rannte zurück in das dunkle Treppenhaus. Der Mann holte mich ein und zog mich wieder Richtung Ausgang. Die Flucht war zu Ende, bevor sie richtig angefangen hatte.
»Sind Sie verletzt?«, fragte der Mann.
Das war keine typische Frage für einen Sicherheits-Scanner. Draußen angekommen, ließ er mich los, und ich erkannte seine Feuerwehr-Uniform.
»Geht es Ihnen gut?«
Ich nickte.
»Gehen Sie sofort zum Haupteingang. Dort ist der Sammelpunkt.«
Als ich aus seinem Blickfeld verschwunden war, rannte ich auf einen Zaun zu. Kletterte über ihn. Setzte die Flucht fort. Dafür hatte ich einen guten Grund. Der Feuerwehrmann trug eine Mobril.
Ich hielt einen Taxifahrer an. Dass ich nicht mit dem Finger zahlen sollte, fiel mir erst auf dem Beifahrersitz ein. Und Bargeld hatte ich wie immer nicht bei mir.
»Das klingt jetzt komisch …«, begann ich meine Frage.
Der Taxifahrer drehte sich ziemlich genervt zu mir um.
»… aber könnte ich Ihnen das Geld für die Fahrt später zukommen lassen?«
»Im Finanzcheck durchgefallen, oder was?«
»Schlimmer.«
Der Taxifahrer zeigte auf die verbeulte Figur, die aus meiner Faust schaute.
»Ist das Buddha?«, fragte er.
»Denke schon.«
»Find ich gut! Die Leute glauben heute an nichts mehr. Ich bring dich zur nächsten Busstation.«
»Geht auch zur übernächsten?«
Die Sicherheits-Scanner würden sicher alle umliegenden Haltestellen absuchen. Ich hatte Angst. Der Taxifahrer grinste und hielt den Finger an den Turbo-Beschleunigungs-Sensor. Er bremste an der viertnächsten Bushaltestelle.
»Die Linie fährt raus in die B-Zone. Dauert aber bestimmt ’ne Stunde.«
Ich stellte ihm meinen Buddha auf das Armaturenbrett und rannte zum E-Bus. Der gestresste Fahrer winkte mich durch. Er blickte mit seiner Mobril nicht auf meinen Scan-AG-Ausweis. Ich hatte Glück. Oben in der fünften Ebene lehnte ich den Kopf auf die Rückenlehne vor mir.
Ich musste an den Abschied von meiner Mutter am Morgen denken.
»Ich mache eine Woche Urlaub«, hatte ich ihr beim Frühstück erklärt.
Sie antwortete nicht.
»Muss nach Jojos Tod auf andere Gedanken kommen«, sagte ich.
Sie schaute durch ihre Mobril in meine Richtung. Vermutlich an mir vorbei.
»Muss mal abschalten.«
Schweigen.
Ich ließ den Werbefilm des Premium-Ressorts unter Palmen über den Brotersatz mit roter Paste projizieren.
»Urlaub in der Ferienhalle! Alle Aroma-Speisen inklusive. Kostenlose Mobril-Nutzung!«, rief eine Stimme.
Meine Mutter fächelte mit ihrer Hand den Geruch von Grillfleisch weg. Sie war Vegetarierin.
»Bis zu 1500 deiner besten Freunde mit Premium-Status sind immer dabei! Sie dürfen rund um die Uhr auf die Mobrils unserer Mitarbeiter zugreifen. Und sie erhalten so einen einmaligen Einblick hinter die Kulissen deines Traumurlaubs!«
Meine Mutter sagte weder etwas zu dem Werbefilm noch zu meinen erfundenen Ferienplänen.
Ich knallte die Tasse auf den Tisch. Heißes Wasser schwappte über, weichte den Brotersatz auf, der sich daraufhin auflöste und braune Flecken hinterließ. Sie senkte den Kopf leicht nach vorne und schaute über die
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