Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey: Aus dem Leben einer Familienpsychologin (German Edition)
typisches Mädchenzimmer mit hellen Möbeln, ein paar Pferdebildern an der Wand und rosa Bettwäsche. Lisa saß auf dem Bett und holte ihren Hund Josef zu sich. Sie steckte ihre Nase in sein Fell und murmelte »Gell, das darfst du nicht, hier auf dem Bett sein. Aber das ist uns egal.«
»Lisa, wie geht es dir?«
So eine einfache und tagtäglich gestellte Frage. Für Lisa war sie eine Riesenherausforderung, denn sie wollte ehrlich antworten.
Sie hielt ihren Kopf im Hundefell verborgen.
Ich wartete.
Schließlich tauchte sie wieder auf und schaute mich mit verweinten Augen an. »Es ist einfach nur schrecklich hier.«
Lisa erzählte, dass sie anfangs versucht hatte, mit ihrem Vater zu reden, aber der hatte sie immer nur »Lisachen« genannt und gesagt, dass sie bloß verwirrt sei, sich aber schon einleben würde. Sie stehe unter Schock, und ihre Mutter hätte ja auch jahrelang alles getan, um ihn, den Vater, schlechtzumachen. Lisa wurde geschüttelt vom Schluchzen.
»Und da war’s aus für mich. Dass er mir Mama schlechtreden will, das ist so gemein! Er hat sich schon Mühe gegeben für seine Verhältnisse. Er ist mit mir ins Kino gegangen. Sogar mal alleine, ohne seine Frau. Ich hab das Zimmer hier bekommen und so. Wobei … Ich hab gar nichts mit Pferden am Hut, und Rosa mag ich auch nicht so. Das wusste er eben nicht. Und fragen tut er mich nie was.«
Lisa hatte aufgehört zu weinen. Ihre Wut war größer geworden als die Trauer. »Er hat mich zum Hockey gefahren und mir Geld für ein Eis nach der Schule gegeben und lauter solche Sachen. Aber er hat mir nie zugehört. Und mich nie gefragt, was ich will oder wie es mir geht. Nie! Weil er ja meint, dass er das alles besser weiß als ich. Und weil er nicht hören will, dass er eben nicht der tolle Vater für mich ist.«
Über Lisas Gesicht kullerten wieder Tränen.
»Ich gehöre hier nicht hin. Nicht zu Papa und seiner Frau. Und nicht nach Hamburg. Das Einzige, was mir hier gefällt, ist, dass Josef bei mir sein kann. Wenn der nicht wäre, dann wäre ich schon verrückt geworden.«
Sie schluchzte wieder, drückte ihren Hund an sich und konnte eine ganze Weile nichts mehr sagen.
Ich wartete. Im Grunde hatte Lisa ja schon alles gesagt.
Aber was nun?
Ich musste ihr irgendwie helfen. Ich WOLLTE ihr helfen.
»Lisa, dein Vater ist der Überzeugung, dass es dir hier gutgeht.«
»Ja, klar. Weil es ihm völlig egal ist, was ich sage oder fühle. Oder wie es mir wirklich geht. Für den zählt nur, was er denkt und was er will. Ich hab ja nach einer Weile auch nichts mehr zu ihm gesagt. Warum denn auch? Damit ich mich noch schlechter fühle, weil ich ihm so egal bin? Und damit er noch mehr Gründe hat, um Mama schlechtzumachen?«
Sie weinte bitterlich.
Da konnte und wollte ich nicht mehr anders. Es war mir egal, ob ich hier als Sachverständige neutral sein sollte und ich dachte auch nicht mehr darüber nach, ob ich das nun »durfte« oder nicht. Ich setzte mich neben Lisa und nahm sie in den Arm.
Und als ich dieses zitternde und schluchzende Mädchen im Arm hielt, schwor ich mir, dass ich ihr helfen würde. Irgendwie. Es musste einen Weg geben. Es musste einfach.
Lisa beruhigte sich recht schnell wieder. Sie hatte wahrscheinlich inzwischen Übung darin, sich zusammenzureißen.
»Lisa, sollen wir jetzt mal mit deinem Vater sprechen? Sag ihm doch einmal das, was du mir gesagt hast. Er sollte wissen, was in dir vorgeht. Vielleicht finden wir ja eine gemeinsame Lösung, wenn ihm klarwird, wie es dir geht.«
»Bestimmt nicht. Er sieht doch nur das, was er sehen will. Alles andere existiert nicht für ihn.«
»Bitte lass es mich versuchen. Weißt du, es ist schon hilfreich, wenn du sagst, wie es dir geht und was du möchtest. Und auch, was du nicht möchtest. Kannst du dir vorstellen, das noch einmal zu versuchen?«
»Meinen Sie denn, dass es irgendeine Möglichkeit gibt, dass ich hier wieder wegkomme?«
»Ich glaube schon, dass es diese Möglichkeit gibt. Natürlich gibt es die. Ein Weg dahin könnte ein klärendes Gespräch mit deinem Vater sein.«
»Und wenn das nichts bringt?«
»Dann suchen wir einen anderen Weg. Einverstanden?«
Lisa nickte.
Und ich hatte mich weit aus dem Fenster gelehnt. Diesen anderen Weg … den kannte ich nämlich noch gar nicht.
Das Gespräch mit Herrn Hofmann lief ganz und gar nicht gut. Er warf mir vor, dass ich Lisa gegen ihn beeinflusst hätte. »Immer wenn sie mit Ihnen gesprochen hat, lehnt sie sich auf. Das tut
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