Die Schatten der Vergangenheit
erneut zu verlieben. Sie können sich nur daran erinnern, wie übel sich Liebeskummer und Leid angefühlt haben und wollen sich nicht vorstellen, das noch einmal durchzumachen.«
»Aber das ist doch dämlich«, beharrte Benny. »Das ist feige.«
»Willkommen in der Realität, Kleiner.«
Der einzige professionelle Elektriker der Stadt, Vic Santorini, hatte sich schon lange darauf verlegt, den Rest seiner Tage im Vollrausch zu verbringen.
Als Benny und Chong zum Vorstellungsgespräch im Haus des Mannes erschienen, dem die Reparaturwerkstatt gehörte, ließ er die beiden im Schatten eines luftigen Vordachs Platz nehmen und reichte ihnen Gläser mit Eistee sowie Pfefferminzplätzchen. Benny war daraufhin wild entschlossen, den Job anzunehmen – egal, worum es sich dabei handeln mochte.
»Wisst ihr, warum wir in der Stadt nur Kurbelgeneratoren haben, Jungs?«, fragte der Mann. Sein Name war Mr Merkle.
»Klar«, erwiderte Chong. »Die Armee hat Atombomben auf die Zombies geworfen, und der elektromagnetische Puls hat die gesamte Elektronik zerstört.«
»Außerdem ist Mr Santorini immer besoffen«, warf Benny ein. Er wollte gerade noch eine beißende Bemerkung über die seltsame religiöse Intoleranz gegenüber Elektrizität hinzufügen, als Mr Merkle das Gesicht zu einem sonderbaren Grinsen verzog. Benny hielt den Mund.
Mr Merkle lächelte die beiden eine ganze Weile schweigend an. Eine volle Minute lang. Dann schüttelte er den Kopf. »Nein, das stimmt nicht ganz, Jungs«, sagte Merkle. »Der tatsächliche Grund besteht darin, dass Kurbelgeräte schlicht sind und die Maschinen protzig.« Dabei betonte er jede Silbe, als wäre sie ein eigenständiges Wort.
Benny und Chong warfen sich einen Blick zu.
»Seht ihr, Jungs, Gott liebt Schlichtheit«, predigte Mr Merkle. »Es ist der Teufel, der Protz liebt. Es ist der Teufel, der Arroganz und Pomp liebt.«
Oh-oh, dachte Benny.
»Mr Santorini hat die erste Hälfte seines Lebens damit verbracht, in den Häusern der Menschen Elektrogeräte zu installieren«, führte Mr Merkle aus. »Das war Teufelswerk und nun sucht er den Zustand der Bewusstlosigkeit, den der Dämon Alkohol bietet – um die Tatsache zu ignorieren, dass ihm eine lange Zeit in der Hölle bevorsteht, weil er mitgeholfen hat, den Zorn des Allmächtigen zu erregen. Ohne gottlose Menschen wie ihn hätte der Allmächtige nicht die Pforten der Hölle geöffnet und die Legionen der Verdammten geschickt, um das eitle Königreich der Menschen zu stürzen.«
Aus den Augenwinkeln sah Benny, dass Chongs Fingerknöchel weiß hervortraten, während er die Lehnen seines Sessels umklammerte.
»Ich sehe da ein wenig Zweifel in euren Augen, Jungs, und das ist in Ordnung«, dozierte Merkle. Er hatte seinen Mund zu einem solch verkniffenen Lächeln verzogen, dass es regelrecht gequält wirkte. »Aber es gibt viele Menschen, die den rechten Pfad eingeschlagen haben. Es gibt mehr von uns, die glauben, als solche, die es nicht tun.« Er schnaubte. »Auch wenn sie noch nicht alle den Mut dazu aufbringen, sich zu ihrem Glauben zu bekennen.«
Als er sich vorbeugte, konnte Benny die Glut, die von seinem eindringlichen Blick ausging, förmlich spüren.
»Die Schule, das Krankenhaus, sogar das Rathaus werden mit Strom aus Kurbelgeneratoren betrieben, und solange rechtschaffene Menschen unter Gottes weitem Himmel leben, wird es in unserer Stadt keine protzigen Maschinen geben.«
Auf dem Tisch stand ein ganzer Krug mit Eistee und daneben lag ein Stapel Kekse. Benny erkannte, dass Mr Merkle wohl eine Menge zu dem Thema zu sagen hatte und dabei wollte, dass sich seine Zuhörer während des ganzen Vortrags wohlfühlten. Benny ertrug es, solange er konnte, und fragte dann, ob er die Toilette aufsuchen dürfe. Mr Merkle, der mittlerweile von einfachem Strom zu der zerstörerischen Blasphemie übergegangen war, die in der Wasserkraft lag, ließ sich kaum ablenken und erklärte Benny kurz den Weg. Benny marschierte ins Haus, durchquerte den Flur und zur Hintertür wieder hinaus. Als er über den Holzzaun sprang, winkte er Chong zu. Zwei Stunden später fand sich auch Chong vor Lafferty’s, dem örtlichen Krämerladen, ein und schenkte Benny einen langen, finsteren Blick. »Du bist ein wahrer Freund, Benny. Ich werd dich echt vermissen, wenn du tot bist.«
»Alter, ich hab dir doch einen Ausweg angeboten. Hat er etwa nicht nach mir gesucht, als ich nicht zurückgekommen bin?«
»Nein. Er hat dich über den Zaun springen sehen,
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