Die Schatten von La Rochelle
war, nicht geschlafen zu haben. Nicole in ihrem sch m utzigen Kleid, unfähig, sich zu bewegen. Alphonse, m it ausgebreiteten A r m en auf dem Boden liegend. Siehst du die Stig m ata nicht, Ar m and? Der Wahnsinn versuchte e i n letztes Mal, ihn einzuholen.
»Marie.«
»Ich bin hier.«
»Ich m öchte nicht das Bewußtsein verlieren. Das julisch-claudische Kaiserhaus.«
Sie begriff. Es war eine der Gedächtnisübungen, die der alte Priester, d er sowohl ihn als auch später sie unterrichtet hatte, vorgeschrieben hatte.
»Octavianus Augustus«, begann s i e, »Tiberius Claudius Nero…«
»… Gaius, genannt Caligula. Cla u dius. Nero. Das flavische Kaiserhaus.«
»Vespasian.«
»Titus. Domitian.«
Als die Kerzen niedergebrannt waren und er ihr Gesicht nicht m ehr erkennen konnte, sagte er: »Gl a ubt Ihr, daß er noch lebt, m a nièce? W i e ich Olivares k enne, wird er v on m i ndestens zwei spanischen Agenten verfolgt, und die Spanier vergessen nie.«
»Er lebt noch«, erwiderte sie. Das Rascheln ihres Kleides verriet ih m , daß sie sich noch etwas näher zu ihm setzte. »Ich weiß es.«
La Rochelle, der Besuch, den er nie hätte m achen dürfen. Und der letzte Tag, das Meer, ihr unausg e s prochener Na m e. Das war es gewesen, was sie zu ihrem Vorschlag veranlaßt hatte. Der Tag wird kommen, an dem Ihr für das, was Ihr wollt, beza h lt.
»Ihr hättet m it ihm gehen sollen.«
Ihr Haar s tr e ifte sein Ge s icht, als sie den Kopf schüttelte.
»Es war alles m eine Schuld«, sagte sie. »Meine Eitelkeit. Als ob ein Mensch genügte, um ein gan z es Leben wettzu m achen. Ich dachte, er würde m ich töten wollen, und als er es nicht tat, als er Euch das Leben rettete, war ich in m einer Selbst g e f älli g keit üb e rz e ugt, gewonnen zu haben. Als ob es je ein Spiel gewesen wäre.«
Irgend je m and brachte neue Kerzen herein, und er konnte sie wieder sehen. »Marie«, sagte er, »er ist alles, was ich versäu m t habe, zu tun. Aber Ihr, Ihr seid… wie hat er es ausgedrückt? Ein Licht in der Dunkelheit. Er hat von sich gesproch e n, nicht von m i r. Ihr seid es für ihn.«
Als seine Ärzte wieder k a m en, um ihn zur Ader zu lassen, fragte er sie: » W ie lange noch ? «
»Morgen um diese Zeit«, entgegnete einer von ihnen, der längst geler n t hatte, a uf Aus f lüchte zu ver z ichten, »seid Ihr entweder tot oder gerettet.«
»Es ist gut so.«
Um drei Uhr m orgens spendete Pater Leon ihm die Letzte Ölung. Aber der W ille, der ihn so lange am Leben gehalten hatte, ließ ihn noch im m er nicht los. Als der M o rgen anbrach, fand sich noch ein m al der Rest der Fa m ilie ein, und die Bischöfe und Kleriker, die ihn unterstützt hatten. Es freute ihn, daß auch Col m ardo gekommen war; eigentlich sollte er bei der Königin sein. Es gab noch so viel, was er Co l m ardo sagen wollte, aber es geh ö rte zu dem Ersten Mi n i ster und dem Kardinal, die er bereits hinter sich gelassen hatte.
Der Abt de la Riviere erklärte, Monsieur, der Bruder des K önigs, habe ihn gebeten, den Kardinal um Verzeihung zu bitten. Der überaus vorsichtige Gaston.
»Der Kardinal gewährt sie«, entgegnete Richelieu trocken.
Dann bat er die Kleriker und die Fa m ilien m itglieder, sich zurückzuziehen, und blieb wieder m it Marie allein.
»Monseigneur«, sagte sie, »eine Ordensfrau hat eine Vision gehabt, in der sie sah, wie Ihr wieder gesund werdet.«
»Ma nièce, ich habe m i ch m it der mystischen Seite des Glaubens nie anfreunden können. Die Prophezeiungen des Evangeliu m s genügen m i r.«
Ihre Mundwinkel zuckten, und er sah zufrieden, daß er sie zum letzten m al zum Lächeln gebracht ha tte. Dann setzte d ie Be n o m m enheit wie d er ein.
»Nerva«, flüsterte er.
»Trajan. Hadnan.«
Das pochende Gefühl in den Schlä f en schwand, sein Blickfeld klärte sich wie d er, aber er wußte, daß ihm nicht m ehr viel Zeit blieb. Maries Hand lag auf der Decke. Mühsam zog er seinen Arm hervor und berührte ihre Fingerspitzen.
»Ma nièce«, sagte er, »ich habe Euch m ehr geliebt als jeden anderen Mensc h en. Deswegen m öchte ich nicht, daß Ihr m i ch sterben seht. Ich bitte Euch, zieht Euch zurück.«
Er spürte, w i e sie zitterte, aber sie nickte. Sie verstand. Dann tat sie etwas, was den wieder einsetzenden sch m erzhaften Nebel durchstieß und vertrieb. Sie legte seine Hand a u f ihren Bauch, nur kurz, aber es genügte.
Pater Leon trat zu ih m . »Es ist Z e it f ür eine ne u e Absoluti o n. Ar m
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