Die Schattenfrau
Fähren hinüber. Der Abstand zwischen den beiden Schiffen wurde langsam größer, eine davon strebte aufs weite Meer hinaus.
»Wovon zum Teufel redest du?«
Winter berichtete von den beiden Signaturen auf den Kinderzeichnungen.
»Hast du alles in die Technik hoch geschickt?«, fragte Ringmar. »Ist unterwegs.« »Meine Güte.«
Die Fähre im Westen war kaum noch zu erkennen, als Winter wieder einen Blick aus dem Fenster warf.
»Vielleicht sind sie ja mal dorthin gefahren«, grübelte Ringmar. »Nach Dänemark. Jetzt ist alles denkbar.«
»Das ist es schon die ganze Zeit, Herr Kommissar.«
»Erst haben wir nichts, und dann kommt alles auf einmal.«
»Wundert dich das?«
»Nein. Ich bin nur aufgeregt.«
»Jetzt geht es los«, sagte Winter. »Wir haben Rückenwind!«
Aneta Djanali stellte sich und Halders vor. Der Mann in der Tür bat sie einzutreten. Das Haus sah aus, als wäre es hundert Jahre alt. Von außen wirkte es jedenfalls so. Aneta war deshalb erstaunt, als sie das große Wohnzimmer betrat. Durch die Fenster fiel ihr Blick auf den Wald und eine Wiese dahinter. Zwei Reitpferde bewegten sich grasend über das weite Gelände. Sie waren braun und schlank. Alles strahlte Frieden aus.
»Was für eine schöne Aussicht«, sagte sie. Der Mann folgte ihrem Blick, als sähe er den Wald und die Wiese zum ersten Mal. Sie wussten, dass er neunundsechzig war. Das stand in den Angaben, die sie vom Straßenverkehrsamt erhalten hatten. Name, Adresse und die Nummer des Personalausweises. Der Mann besaß einen weißen Ford Escort. Das Kennzeichen fing mit H an. Aber als Halders nach dem Ergebnis der Überprüfung seines Strafregisters gefragt hatte, bevor sie wieder hierher gefahren waren, mussten sie erfahren, dass die Kollegen ausgerechnet diesen Fahrzeughalter noch nicht ins Visier genommen hatten. Eigentlich eine Routineuntersuchung, die sie bei allen in Frage kommenden Autobesitzern durchführen sollten. Der alte Mann sah nett aus. Georg Bremers Kopf war ebenso kahl wie Fredrik Halders', aber er hatte einen Schnauzbart, der noch dunkel war und nicht gefärbt zu sein schien. Der oberste Knopf seines hellblauen Hemds stand offen und ermöglichte so einen Blick auf seinen Hals, der tiefe Altersfalten aufwies. Georg Bremer trug eine schwarze Hose, die von einem braunen Gürtel gehalten wurde. Er war schlank. Fast ausgemergelt, ging es Aneta Djanali durch den Kopf. Der Mann war kleiner als Fredrik, aber sehnig, soweit sie dies feststellen konnte.
Georg Bremer blickte noch immer durch das Fenster. Als die Sonne hinter Wolken verschwand, wirkten seine Gesichtszüge plötzlich sehr hart. Doch Sekunden darauf tauchte die Sonne wieder auf und gab dem Gesicht die weichen Konturen zurück. Wie eigenartig, dachte Aneta Djanali. Sie starrte auf sein Kinn und ärgerte sich ein wenig über sich selbst. Wie dumm. Ich bin auf Kinnpartien fixiert, seit man mir die meine zertrümmert hat.
»Wir haben versucht, mit Ihnen Kontakt aufzunehmen«, sagte Halders. »Hören Sie den Anrufbeantworter nicht ab?«
»Ich war eine Weile weg. Bin erst seit gestern wieder zu Hause und noch nicht dazu gekommen.«
Was sollte das auch, diese verdammte Rücksichtnahme. Wir sollten uns nicht vorher bei den Leuten melden. Halders war unzufrieden. Wir sollten lieber gleich ins Haus stürzen, wenn die Familie bei Tisch sitzt, und fragen, was denn Papa oder Mama mit ihrem Auto in den frühen Morgenstunden in der Nähe des Delsjön zu suchen hatte. Denen muss man doch mal einen ordentlichen Schrecken einjagen! Wenn aus keinem anderen Grund, würden die aus Scham schon reden.
»Also es geht um das Auto«, fuhr Halders fort.
»Routinesache, wenn Sie verstehen.« »Möchten Sie sich nicht setzen?«
»Gern«, antwortete Aneta Djanali und ließ sich auf einem Sofa nieder, das grün und abgewetzt war. Halders blieb stehen, Georg Bremer ebenfalls.
»Was ist denn mit dem Auto?«, fragte Georg Bremer.
»Sie fahren einen weißen Ford Escort, Baujahr 92?«
»92? Ist er aus diesem Jahr? Das weiß ich gar nicht genau. Da muss ich in den Papieren nachsehen.«
»Wir kontrollieren die Besitzer dieses Autotyps, weil wir hoffen, dass Sie uns helfen können, einen Fall zu lösen.« »Was für einen Fall?« »Einen Mord.«
»Und ein Ford Escort hat damit zu tun?«
»Ein Escort ist in der betreffenden Nacht in der Nähe des Fundortes beobachtet worden. Wir hoffen, dass der Fahrer des Autos vielleicht etwas bemerkt hat.«
»Zum Beispiel? Und wo?«
Halders warf
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