Die Schattenfrau
erschweren.«
»Ach ja?«
»Die Leute lassen doch Spuren zurück. Besonders, wenn sie was mit Svenne Johan hatten.« »Du musst mir alles sagen, was du weißt.« »Reicht das noch nicht?«
»Ich habe noch ein paar Namen«, erwiderte Winter.
44
Die Suche mit dem Schleppnetz im Stora Delsjön hatte etwas ergeben. Als Winter den Anruf erhielt, fuhr er sofort los. Er war wie blind für den Verkehr. Die Wolken hatten sich verzogen, und Winter griff automatisch zur Sonnenbrille.
Ein Kinderschuh lag im Gras am Strand. Der Schuh war mit Steinen gefüllt, als hätte er versinken sollen. Er konnte einen Monat oder länger oder kürzer im Wasser gelegen haben. Er konnte wer weiß wem gehören, aber Winter glaubte zu wissen, wem.
Sie hatten auch vorher schon viel gefunden, aber bisher nichts, was einem Kind gehört hatte. Den Fund hatten sie nördlich der Landzunge gemacht, die sich zu einem Finger verengte und aussah, als wollte sie auf die Stelle deuten, wo sie suchen sollten.
Winter schwitzte unter der Jacke, im Gesicht. Die Wasserfläche glitzerte im Sonnenlicht, und der See lag still da wie Blei. Winter spürte, wie eisiges Entsetzen nach ihm griff: Sie mussten ihre Suche abbrechen, bevor sie wahnsinnig würden. Was würde auf den Schuh folgen? Winter schaute die Männer und Frauen um ihn an, und allen stand die Sorge ins Gesicht geschrieben, dass das Mädchen da unten auf dem Grund lag.
Louise Keijser war sechzig Jahre alt, wirkte aber älter.
»Ich bin dankbar, dass Sie kommen konnten, Frau Keijser«, begrüßte Winter sie.
»Das ist doch das Mindeste, was ich tun kann. Wenn ich gewusst hätte... «
Winter sagte nichts. Er wartete, bis sie sich gesetzt hatte.
»Also, wenn ich das gewusst hätte. Ich bin beinahe froh, dass Johannes das nicht mehr erleben muss.« Sie holte ein Taschentuch vor und tupfte sich die Augenwinkel ab. »Ich war so traurig im Zug.«
»Wie alt war Helene, als Sie bei Ihnen auszog?«, fragte Winter.
»Achtzehn. Als sie volljährig wurde. Wir wollten es nicht, aber was hätten wir dagegen tun sollen?« »Wann haben Sie zum letzten Mal von ihr gehört?«
»Das war vor mehreren Jahren. Bevor sie das Kind bekam... « Louise Keijser holte wieder ihr Taschentuch hervor. »Davon wusste ich allerdings nicht. Aber das habe ich Ihnen, glaube ich, schon am Telefon gesagt.« Sie schnäuzte sich leise. »Das kleine Mädchen sieht... Helene ähnlich. Nicht das gleiche Haar, aber sonst... Wie furchtbar. Sie wissen noch nicht mehr. Über das Mädchen, oder?«
»Nein«, gestand Winter. »Wir können gern später darüber sprechen, aber jetzt würde ich Sie erst zu Helene befragen. Ginge das?«
»Ja, sicher. Verzeihen Sie.«
»Wie lange war sie bei Ihnen als Teil der Familie?«
»Das waren ja nur Johannes und ich. Fast drei Jahre. Ich habe die Unterlagen mitgebracht, wenn Sie die sehen wollen. Vom Sozialamt und so.«
»Drei Jahre«, wiederholte Winter. »Und danach keinen Kontakt mehr?« Er brachte es fertig, mit fester, ruhiger Stimme zu sprechen. »Sie sagen, es ist mehrere Jahre her, dass Sie von ihr gehört haben.«
»Ja. Das klingt für Sie wahrscheinlich merkwürdig. Schrecklich, aber so war es. Wir haben es versucht, aber sie wollte nichts von uns wissen.« Sie führte das Taschentuch wieder an die Augen. Winter sah kleine schwarze Striche unter ihren Augen, wo ihre Wimperntusche sich von den Tränen aufgelöst hatte.
»Können Sie Ihr Verhältnis zu Helene beschreiben? Wie war es, als sie bei Ihnen gewohnt hat? Wie ist es Ihnen zusammen ergangen?«
»Gut, habe ich immer gedacht. Sie war ja die ganze Zeit irgendwie ein besonderes Mädchen. Bei ihrer Vergangenheit und allem. Aber wir sind gut miteinander ausgekommen. Sie war natürlich sehr still, und manchmal versuchte Johannes sie anzusprechen auf das, was geschehen war, aber sie hat sich nicht drauf eingelassen, will ich mal sagen. Es ging immer von Johannes aus, diese Versuche. Ich kam besser damit zurecht, diese... diese Stille im Haus zu haben.«
»Sie ist dann zuerst nach Malmö gezogen«, ordnete Winter seine Gedanken. »So viel wissen wir.«
»Ja. Das war ja nicht so weit weg, und wir haben uns einige Male gesehen, aber das ging nicht gut. Wir haben auch versucht, sie zu uns nach Hause einzuladen, aber sie wollte nicht. Sie ist einmal mitgekommen, aber es war, als wäre sie nie bei uns gewesen. Es war merkwürdig. Oder es klingt vielleicht merkwürdig, aber es hat irgendwie zu Helene gepasst.«
»Sie ist dann nach Göteborg
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