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Die Schattenfrau

Die Schattenfrau

Titel: Die Schattenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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auch.«
    »Tja, irgendwo muss es ja eine Antwort auf eure Fragen geben. So eine Reise kann einem die Augen öffnen.« Borg fixierte Winter mit einem scharfen Blick. »Ich habe vom deinem Ausflug nach London im Frühjahr gelesen.«
    Winter nickte.
    »War wohl auch eine Art Reise durch die Zeit«, meinte Borg nachdenklich. »Und dies hier wird bestimmt eine Reise in die Vergangenheit.«
    Winter nickte wieder und sah zum Fenster hinaus.
    Borg folgte seinem Blick. »Die Scheiben müssen mal wieder geputzt werden. Ich erwarte meine Tochter. Genau deshalb will sie kommen«, lächelte Borg. »Dann kann man den Garten wieder sehen.«
    Winter schmunzelte und erwiderte Borgs Blick. Der alte Mann hatte sich vorgebeugt, als wollte er noch mehr sagen, wüsste aber nicht recht, wie.
    »Es gibt da noch eine Sache. Wenn ihr euch damit herumquälen wollt. Glaube ich jedenfalls. Ist ein bisschen blöd. Das habt ihr sicher überprüft, oder?«
    »Wovon redest du, Svenne?«, Ringmar beugte sich ebenfalls vor.
    »Zu meiner Zeit hatten wir ja noch keine Videogeräte. Aber genau bei der Gelegenheit haben wir ausprobiert, ein Verhör zu filmen. Die Aufzeichnung dürfte noch vorhanden sein. Habt ihr das schon überprüft?«
    »Ein Film?«, staunte Winter.
    »Eine Aufnahme des Verhörs. Die Bänder sind vielleicht überspielt worden. Aber vielleicht gibt es den Film ja doch noch. Das Verhör der kleinen Helene.«
    »Mir ist keine Notiz aufgefallen«, wunderte sich Ringmar.
    »Dass wir gefilmt haben? Oder dass wir den Film aufgehoben haben?«
    »Weder noch«, antwortete Ringmar. »Ich höre eben zum ersten Mal davon.«
    »Ja, du warst ja damals nicht bei uns«, sagte Borg. »Einer wird geschludert haben. Oder der Film ist ganz einfach vernichtet worden.«
    Sie fanden den Film zwischen anderen Kassetten mit Aufnahmen, die vom Schmalfilm auf Video übertragen und dann vergessen worden waren. Es gab sogar ein Verzeichnis.
    Aber keine Notiz in den Unterlagen zum Fall Dellmar.
    In Winters Büro steckten sie das Video in den Rekorder. Ringmar machte eine Geste, die aussah, als bekreuzige er sich. Winter dröhnte der Kopf.
    Borg kam ins Bild, jünger und offensichtlich noch ohne Durchblutungsstörungen. Der Raum hätte jeder beliebige im Präsidium sein können. Auch heute noch. Es hatte sich nicht viel verändert.
    Das Mädchen saß auf der anderen Seite des Tisches. Von ihm war kaum mehr zu sehen als das Gesicht. Die Kleine sagte etwas und starrte vor sich auf den Tisch, dann schaute sie auf, direkt in die Kamera, als wollte sie Winter und Ringmar ansehen. Winters Kopfschmerz verstärkte sich. Das war vielleicht das Entsetzlichste. Mit dem Wissen von ihrem Tod dazusitzen und diese verdammte Reise zurück in der Zeit zu machen.
    Winter hatte wieder Helenes Gesicht am Kopfende der Bahre vor Augen. Andere Bilder kamen ihm in den Sinn, als das Mädchen den Blick wieder abwandte, weiter auf den wuchtigen Tisch vor sich stierte.
    »Weiß der Teufel, wie ich damit zurechtkommen soll«, fluchte Ringmar.
    Winter sah Helene vom Stuhl aufstehen, und er wünschte, das Band wäre vernichtet worden.
    Ringmar stand auf. »Los, wir gehen und finden Jennie«, sagte er.

46
    Winter las das zu dem Video passende Protokoll von dem Verhör der kleinen Helene. Ein erfahrener Psychologe, der inzwischen verstorben war, hatte versucht, dem Mädchen zu seiner Erinnerung zu verhelfen. Es war eine lückenhafte wie schmerzliche Lektüre, quälend wie der Film vorher. Helene war offensichtlich vollkommen verstört gewesen.
    Auch die Gutachten sagten Winter nicht mehr. Da war ein Vermerk, dass eine Gesprächstherapie für dringend notwendig erachtet wurde, eine Untersuchung in der Psychiatrie. Ihre psychologische Betreuung bis ins Erwachsenenleben. Und dann?, fragte sich Winter. War es für die erwachsene Helene nicht erst recht schwierig geworden?
    Es gab keinerlei Hinweis darauf, dass Helene als Erwachsene weiter therapiert worden war. Nur eine routinemäßige Nachkontrolle war verzeichnet, einige Jahre nach dem Ereignis in ihrer Kindheit. Winter notierte sich den Namen der damaligen Pflegeeltern und las weiter. »Als Erwachsene kann ihr bewusst werden, in was sie da als Kind hineingezogen wurde. Auch wenn es jetzt schon deutliche Hinweise gibt, ist es aber möglich, dass sie auch später nur äußerst wenige spezifische Erinnerungsbilder wird aufrufen können.«
    Welche wohl? überlegte Winter. Er versuchte sich über solche Fälle von Gedächtnisverlust kundig zu machen.

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