Die Schattenfrau
einem Haus dort aufgehalten haben?«
»Sie sind dort von einigen Zeugen gesehen worden. Wir haben das Haus natürlich überprüft, aber es war leer. Leer wie ein Grab.«
»Man muss dazu sagen, dass das lange nach dem Überfall war«, warf Michaela Poulsen ein.
»Was?«
»Sie hatten einen Dietrich oder so was und verschafften sich Zugang. Oder einen Schlüssel. Niemand hat damals etwas Verdächtiges beobachtet. Dieses Haus liegt abseits und ist nicht ständig bewohnt. Heute ist das anders, aber damals war es eins von vielen Ferienhäusern längs der Straße. Sie haben keine Spuren hinterlassen. Dann kamen nach ein paar Wochen die Besitzer hin und fuhren mit der Renovierung fort, die schon seit einer Weile im Gang war. Neue Tapeten. Anstrich. Und am Ende reagiert irgendjemand, der ein Stück weit weg wohnte, auf die Aufregung nach dem Bankraub. Höllisch langsam.«
»Verdammt langsam«, bestätigte Bendrup. »Die Küstenbewohner halten in allen Lagen den Mund.«
»Warum hat man die Räuber gerade mit diesem Haus in Zusammenhang gebracht?«, fragte Winter. »Die Leute am Ort haben sich doch erst viel später gemeldet.«
»Sie haben etwas gefunden«, erklärte Bendrup. »Also die Hausbesitzer.« Er stand auf und hob die Ordner nacheinander hoch. Er fand den gesuchten und blätterte darin. »Sie waren bei ihrer Renovierung... « Bendrup legte den Ordner hin und griff sich einen anderen. »Da müsste es... «
»Es war eigentlich nur ein Stück Papier, das in ein kleines Kinderhemd gewickelt war«, erzählte Michaela Poulsen. »Sie wollten sich an den Boden machen und fingen an, die Bretter loszureißen. Unter einem losen Brett in einer Ecke, am Fenster, lag das Hemdchen, und als sie es rauszogen, fiel der Zettel heraus. Es war ein Blatt mit Zeichen darauf. Wie eine Karte.«
»Hier ist er«, sagte Bendrup und hielt Winter den Ordner hin.
Winter wurde schwindelig vor Aufregung.
»Ist dir nicht gut?«
Winter schüttelte den Kopf. Er nahm den Ordner. In einer Plastikhülle lag eine Kopie der gleichen Karte oder Mitteilung, über der er so oft in Göteborg gebrütet hatte, mit den gleichen Buchstaben und Ziffern und einer ähnlichen Zeichnung, der Karte oder was auch immer: 20/5, - 16.30, 4 - 23?, L.v - H, T.
»Den kenne ich«, sagte er und berichtete. Die beiden hörten gespannt zu. Michaela Poulsen hatte ihren Blazer ausgezogen.
»Wahnsinn«, entfuhr es ihr.
»Ja, wir haben es auch nicht deuten können«, meinte Bendrup. »Aber vielleicht ist das trotzdem ein Fortschritt.«
»Habt ihr irgendwelche Fingerabdrücke gefunden?«, fragte Winter.
»Meist von denen, die hinterher die Sachen angefasst haben«, erklärte Bendrup. »Aber wir haben auch einen Satz Fingerabdrücke entdeckt, der zu Andersen passte.«
»Andersen? In den Akten von hier habe ich nichts von einem Andersen gelesen«, sagte Winter verwirrt.
»Was? Nein, verdammt, jetzt rede ich schon wirres Zeug«, ärgerte sich Bendrup. »Der Räuber, den wir später fanden, der aus dem Limfjord, hieß M0ller. Oder er heißt in allen Akten so. Aber als wir seine Kumpel hier in der Stadt befragten, kam raus, dass er eine Art Decknamen hatte, und der lautet Andersen. Tatsächlich haben alle in der Gang einen Zweitnamen.«
Winters Mund war trocken. Das Schlucken fiel ihm schwer, aber er musste schlucken, wollte er etwas sagen. »Die... die tote Frau in Göteborg heißt Andersen«, brachte er endlich heraus. »Helene Andersen. Sie hat den Namen vor einigen Jahren angenommen. Also kann sie wirklich das Kind bei dem Überfall gewesen sein.«
»Wahnsinn«, wiederholte Michaela Poulsen.
»Seit wann wisst ihr das?«, fragte Bendrup. »Also ihren Namen. Andersen.«
»Seit ein paar Tagen erst«, berichtete Winter. »Danach ist alles sehr schnell gegangen. Habt ihr den Namen noch nicht von uns bekommen? Mein Kollege in der Registratur sollte die Infos rüberschicken, bevor ich losgefahren bin.«
Michaela Poulsen sah Bendrup fragend an.
»Verdammter Mist«, fluchte Bendrup. »Ich hatte die letzten drei Tage frei und bin heute Vormittag erst wiedergekommen. Die Sachen lagen auf meinem Schreibtisch und liegen dort wohl schon, seit sie eingetroffen sind, ohne dass jemand sie sich angesehen hat.«
»Das ist meine Schuld«, meinte Michaela Poulsen. »Ich hätte die Post genauer durchsehen sollen. Aber wir sind vielleicht trotzdem ein Stück weitergekommen.« Sie sah Winter an. »Wenn du willst, können wir in die Stadt fahren. Wenn du sehen willst, wo es passiert
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