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Die Schattenfrau

Die Schattenfrau

Titel: Die Schattenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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Stunden sind die ersten Stunden.«
    »Und die sind jetzt vorbei«, ordnete Lotta an. »Deine ersten wichtigen Stunden.«
    »So gut wie.«
    »Aber die Jagd geht weiter.«
    »Wenn man es eine Jagd nennen kann.«
    »Willst du darüber reden?«
    Winter streckte die Hand wieder nach dem Glas aus, zog sie aber zurück. Er hatte das Gefühl, er würde kein Wort mehr herausbekommen, wenn er weiter Wein trank.
    Er erhob sich, machte die wenigen Schritte zum Geländer der Veranda und lehnte sich dagegen. Ein schwacher Wind wehte vom Garten herauf. Drüben an der Hecke, hinter dem Ahorn, war schemenhaft ein Spielhaus zu erkennen. Es hatte all die Jahre dagestanden. Winter hatte ewig währende Abenteuernächte darin gewohnt, als er neun, zehn, vielleicht elf gewesen war.
    Er bekam Lust hinzugehen, bewegte sich aber nicht. Bliebe er an diesem Abend lange genug dort stehen, würde er das Spielhaus in der Dunkelheit nicht mehr sehen können. Nur noch erahnen würde er es. Die Müdigkeit brachte ihm seine Kindheit näher. Was für ein Verlust. Man ahnt ein früheres Leben, aber mehr ist es nicht, dachte er. Bald geht alles unter im Jetzt.
    Er drehte sich seiner Schwester zu. Sie hatte ein Tuch um die Schultern gelegt, wirkte fremd damit. Wieder spürte er den Wind vom Garten, der durch die kurzen Haare an seinen nackten Beinen fuhr. Aber er fror nicht.
    »Da ist ein Kind«, begann er. »Diese Frau, die ermordet worden ist und für die wir noch keinen Namen haben... Wie ich bei deinem Anruf gesagt habe... Sie hat ein Kind bekommen, und dieses Kind wird wohl irgendwo da draußen sein.«
    »Beunruhigt dich das?«
    »Würdest du nicht genauso empfinden?«
    »Doch.«
    »Es stört mich. Einige Male hatte ich heute das Gefühl, ich könnte mich nicht genug konzentrieren, weil ich daran denken musste, dass Helene ein Kind hat.«
    Die Schwester blickte ihn an. »Hast du nicht gerade gesagt, dass ihr keinen Namen habt?«
    »Was?«
    »Die ermordete Frau ist doch noch nicht identifiziert. Aber du hast sie eben Helene genannt.«
    »Hab ich das? Da muss ich aufpassen. Ich habe sie so getauft, um... ihr näher zu kommen. In meinen Überlegungen.«
    »Warum gerade dieser Name?«
    »Sie wurde am Delsjön gefunden, bei Helenevik.«
    »Helenevik? Davon habe ich nie gehört.«
    »Eine Hand voll hübscher Häuser auf der anderen Seite der Schnellstraße, mit Aussicht auf den Rädasjön.«
    »Helene?«
    »Ja. Ich nenne sie Helene. Und ich muss ständig an ihr Kind denken.«
    Winter sah, wie Lotta schauderte, mehr von den Worten als von der Abenddämmerung, schien es ihm.
    »Dann geht es darum, so schnell wie möglich ihre Identität zu bestimmen. Und wo sie wohnt.«
    Winter antwortete nicht.
    »Oder wie?«
    »Natürlich, aber ich bin nicht gerade optimistisch. Es ist wie ein neuerlicher Abstieg in die Hölle. Vielleicht empfinde ich es nur heute Abend so. Im Moment ist es das für mich. Vielleicht werden wir abwarten müssen, bis ein Hauswirt anruft, weil sie mit der Miete im Rückstand ist. - Aber bis dahin kann Zeit vergehen. Furchtbar viel Zeit.«
    »Du machst Spaß.«
    »Das hoffe ich. Ich hoffe, dass ich Spaß mache.«
    »Hast du mit einem Kollegen über dein pessimistisches Gefühl sprechen können?«, fragte Lotta.
    »Selbstverständlich nicht.«
    »Ist das kein Problem für dich? Ich meine, nicht nur jetzt..., sondern überhaupt?«
    »Wie meinst du das?«
    »Du weißt, was ich meine.«
    »Ich spreche mit meinen Mitarbeitern«, sagte Winter. »Das ist doch wohl normal.« »Aber du erzählst niemandem, dass du pessimistisch bist.« »Natürlich nicht.«
    »Aber mir sagst du es.«
    »Worauf willst du hinaus?«, fragte er und hob das Weinglas. »Das hast du schon verstanden.«
    Winter antwortete nicht, sondern nahm einen Schluck Wein. Er fühlte sich kalt an in seinem Mund.
    »Alleinsein kann zur Belastung werden«, fuhr Lotta fort. »Glaub mir, ich weiß Bescheid. Es gab noch einen Grund, warum du heute Abend hergekommen bist. Nicht nur, um deine liebe Schwester zu besuchen. Du wolltest deine Zweifel jemand anders gegenüber aussprechen, sie aus dir herauslassen, damit du weiterarbeiten kannst.«
    »Wie eine Beichte?«
    »Für dich ist es vielleicht eine Beichte. Wenn du Zweifel hast, fühlst du dich, als hättest du gesündigt.« »Ah.«
    »Das war immer so bei dir. Schon als du noch ein Kind warst.«
    »Was soll ich darauf antworten?«
    »Dass auch du ein normales Leben führen willst. Was bedeutet, dass du jemanden brauchst, mit dem du über

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