Die Schattenfrau
Mannes. Ein Hund oder zwei hatten gekläfft, als Halders gekommen war, aber dann war der Lärm verstummt. Halders hatte den Stahldraht des Hundezwingers im Licht der Wandlaterne glänzen sehen. Der Mann hatte ihn nicht hereingebeten. Er war klein und irgendwie bucklig und hatte sofort, wie zur Verteidigung gegenüber dem langen Halders, eine defensive Haltung angenommen. Und nun sprach der Mann einfach nicht weiter.
»Das letzte versteh ich nicht«, wiederholte Halders.
»Es war nicht leicht, überhaupt noch was zu hören, wo doch den ganzen Abend über so ein Verkehr war zu eurem Haus, oder wie?«
Halders wurde immer gereizter. Die Gewohnheit des Mannes, seine Ausführungen mit einem »Oder wie?« abzuschließen, ging ihm auf die Nerven. Aber wenigstens wusste er nun, was der Kerl gemeint hatte.
»Sie meinen die Veranstaltung gestern Abend im Sportzentrum der Polizei?«
»Ich dachte, das heißt Bierzentrum. Oder wie?« »Sind Sie durch die Veranstaltung in irgendeiner Weise gestört worden?«
»Kann ich nicht behaupten. Aber es war viel Verkehr.« »Autos?«
»Das nennt man doch wohl Verkehr, oder wie?« »Keine Fußgänger?«
»Soviel ich gesehen habe, nein. Aber es hat ja schon Festlichkeiten oben im Bierzentrum gegeben, da sind eure Gäste in den frühen Morgenstunden hier und da auf meinem Grund und Boden gelandet. Einmal haben sogar ein Polizist in Zivil und ein so gut wie gar nicht bekleidetes Weibsbild beschlossen, sich ins Moor zu betten, da hinter dem Zwinger.« Der Mann deutete mit dem Kopf zur Hausecke.
Das könnte durchaus bei meinem Fest zum vierzigsten Geburtstag gewesen sein, musste Halders unwillkürlich denken. »Aber kein Gerenne letzte Nacht?«, fragte er.
»Nicht, dass ich was gehört hätte. Da müssen Sie mit Ihren Kumpeln reden.«
»Wir sind dabei.«
»Ist ja auch 'ne gute Idee, oder wie?«
»Aber bei dem Auto sind Sie sicher?«, fragte Halders, selbst verwundert über die eigene Geduld.
»Das hab ich doch gesagt, oder wie? Wir haben ja schließlich endlos über die Einzelheiten geplaudert, oder wie?«
»Dann möchte ich Ihnen für alle Auskünfte danken. Wenn Ihnen noch etwas einfällt, was auch immer, dann lassen Sie doch von sich hören, oder wie? Es kann auch früher passiert sein. Jemand, der mehrmals hier vorbeigekommen ist. Was auch immer. Sie verstehen, was ich meine, oder wie?«, sagte Halders abschließend, ließ den Motor an und brauste mit einem schiefen kleinen Lächeln auf den Lippen in die Stadt zurück.
Halders stellte das Auto am Polizeigebäude ab und marschierte am Fluss entlang. Die Stadt um ihn herum schien aus den Fugen. Er fand kein besseres Wort dafür. Die ganze Gesellschaft war aus den Fugen. Es gab zu wenig Polizeipräsenz auf den Straßen, weil auch Polizisten ein normales Leben führen wollten. Es müsste ebenso viele Polizisten wie Staatsbürger geben, überlegte er. Ein Polizist je Staatsbürger, vorausgesetzt, der Polizist war ehrenhaft und anständig.
Halders ging über den Drottningtorget. Vor der Börse stand ein Pärchen und trank etwas aus durchsichtigen Plastikbechern. Das ist kein Himbeersaft, dachte Halders. Ich sollte hingehen und ihnen die Becher aus den Händen reißen, sie mir greifen, und ab in die U-Haft mit ihnen. Man müsste ein Riesentheater veranstalten, schon bei Lappalien. Nulltoleranz. Was für ein idiotischer Ausdruck, aber er hatte die richtige Bedeutung: Die Gesellschaft müsste klarstellen, dass sie das nicht mehr akzeptiert. Jeder klitzekleine Verstoß müsste wie ein Verbrechen behandelt werden. Wer ohne Fahrradlampe fährt, musste den Führerschein verlieren. Wer öffentlich trinkt, müsste mit Gefängnis bestraft werden. Immer wieder ein kurzer Freiheitsentzug. So haben die das in New York gemacht. Und in der Stadt ist es ruhiger geworden. Das ganze Land ist ruhiger geworden.
Alles und alle werden ruhiger, nur ich nicht, erkannte Halders. Je mehr ich an Ruhe denke, desto wütender werde ich. Wie weit wäre ich bereit zu gehen, wenn die Gesellschaft grünes Licht für Nulltoleranz gäbe? Und die Kollegen? Was würden die machen? Ein Teil begnügt sich damit, so zu tun als ob, und einige ziehen das durch. Für die ist das ein ständiger Krieg.
Er wartete mit tausend anderen, um den Götaleden zu überqueren, und befand sich plötzlich unter Zehntausenden auf dem Packhuskajen. Das Feuerwerk hatte begonnen. Es setzte sich in Halders' Kopf fort, schien dort zu explodieren. Er holte sich einen Becher Bier, ließ sich am
Weitere Kostenlose Bücher