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Die Schattenfrau

Die Schattenfrau

Titel: Die Schattenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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unaufhörlichen Wirbel und an einen befreienden Abschied.«
    »Jetzt weiß ich es wieder. Du warst noch keine 25, glaube ich.«
    »Gott ja. Da sollte man eigentlich schon erwachsen sein.«
    »Ich muss ihm Angst eingejagt haben.«
    »Bitte?«
    »Benny. Er muss richtig Schiss bekommen haben.«
    »Du hast ja auch versucht, ihn umzubringen.«
    Winter schwieg. Irgendwer rief etwas Unverständliches draußen auf dem Gang.
    »War es ein schönes Gefühl?«, fragte sie.
    »Was?«
    »Zu versuchen, jemanden zu ermorden? War es ein schönes Gefühl?«
    Winter antwortete nicht. Im Zimmer war es dunkler geworden. Die Rechtecke am Merkbrett waren kaum noch zu erkennen. Er versuchte sich seine Hände um Benny Vennerhags Hals vorzustellen. Was war das für ein Gefühl... Das waren nicht seine Hände gewesen.
    »Bist du noch da?«, fragte sie.
    »Ja.«
    »Wie geht es eigentlich dir?«
    »Ich weiß nicht recht. Eine Frau, nicht viel älter als dreißig, ist tot, und wir wissen nicht, wer sie ist. Das macht mich... mutlos. Mehr, als ich es sein dürfte, wenigstens zu Anfang der Ermittlung.«
    »Warum kommst du nicht mal hier vorbei? Ist ja schon Monate her... «
    Ja, warum nicht. Winter blickte sich wieder im Büro um. Nichts hatte sich hier drin verändert während des Gesprächs mit seiner Schwester. Alles würde noch da sein, wenn er am nächsten Tag zurückkäme. Sein anonymes und düsteres Zimmer im Polizeipräsidium schien ihm größer als sein Leben: Es war hier, bevor er gekommen war, und es würde da sein, wenn er längst fort wäre.
    Er wartete auf Antworten zu mehreren Anfragen, aber die hatten Zeit. Und er hatte niemanden, zu dem er sonst gehen konnte.
    »Du meinst heute Abend?«
    »Ich meine jetzt, in einer halben Stunde oder wie lange du brauchst, um herzufahren«, sagte Lotta.
    »Okay. Soll ich was einkaufen?«
    »Nein. Aber du kommst?«
    »Bist du allein?«
    »Du meinst Bim und Kristina? Die beiden sind gerade nicht da. Die kommen später. Sie würden dich gern mal wieder treffen, Erik.«
    Winter dachte an seine Nichten. Er war ein erbärmlicher Onkel. Erbärmlich.
    »Wirklich«, betonte seine Schwester. »Die zwei haben dich noch nicht vergessen.«
    Er ging durch die leeren Flure des Dezernats. Die Dämmerung kehrte den letzten Rest des Tages aus. Jemand hatte vergessen, im Besprechungszimmer das Licht auszumachen. Winter stellte sich vor das Flipchart und betrachtete seine eigenen vagen Striche und Pfeile, Punkte und Kreuze. Er nahm den Filzstift vom Gestell am Fenster und notierte »Helene« neben dem Kreuz, das den Fundort markierte. Dann schrieb er »Transport« in das leere Feld rechts von der Karte und die Zeiten der Autos, die er auf dem Videoband gesehen hatte. Beiers Männer würden sich die Filme genau ansehen. Die Zeit ist knapp, hatte Winter gesagt.
    Er musste wieder an den See denken, an das Wasser. Wie viele Leute besaßen Boote am Delsjön? Das musste doch nachprüfbar sein. War jemandem ein Boot gestohlen worden, wenn auch nur für ein paar Stunden? Vielleicht wusste man im Anglerverein etwas.
    Es gab unendlich viele Möglichkeiten. Und weitere Enttäuschungen. Winter legte den Stift hin und drehte sich um. Ihm fiel das Kind ein, die Kleine, die er vor sich gesehen hatte. Jetzt hatte er ihr Gesicht nicht mehr vor Augen. Aber sie war ihm erschienen wie ein Traum oder ein Gruß aus einem fernen und beängstigenden Land, das er so schnell wie möglich besuchen musste. Wir müssen deinen Namen herausfinden, Helene, dachte er.
    Der Parkplatz war menschenleer. Rechts standen drei Motorräder an der dafür vorgesehenen Stelle. Kaum war Winter aus dem Polizeigebäude getreten, hatte er wieder angefangen zu schwitzen. Der Kopf tat ihm weh, ein plötzlich einsetzender Schmerz. Er spürte wieder diesen Schwindel, eine sekundenkurze Leere im Gehirn. Als wäre er nicht da.
    Er setzte die Sonnenbrille auf. Es juckte ihn auf der Kopfhaut und an anderen Körperstellen, wo er Haare hatte. Winter fühlte sich wie elektrisch geladen, als wäre er in mehrere Schichten heißer Haut gekleidet.
    Zwei Luftballons trieben in östlicher Richtung über den Himmel. Der Vollmond hing links. Der eine Ballon verdeckte den Himmelskörper und verursachte eine kleine Mondfinsternis. Ein Streifenwagen bog vor Winter ein, und der Mann am Steuer nickte ihm kurz zu. Winter hob die Hand und ging weiter auf den Mercedes zu. Die Shell-Tankstelle gegenüber strahlte wie ein Vergnügungspark, der grelle Schein der Neonschilder gab der

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