Die Schattenfrau
»Wie geht es Fredrik?«
»Nicht so gut ohne dich. Eure Chemie passt anscheinend inzwischen zusammen. Ein Verhältnis, das sich aus gegenseitiger Abneigung nährt.«
»Haargenau«, schrieb Aneta Djanali. »Eine Negerin und ein Skinhead.«
»Er ist ein guter Kopf.«
»Pass auf ihn auf.«
»Was?«
»Er dreht so leicht durch. Fühlt sich nicht wohl in seiner Haut.«
»Das gilt für viele von uns.«
»Dürfte das nicht schreiben. Aber er ist...« - ihr Stift schwebte kurz über dem Blatt - »... nervös... verzweifelt.« »Du hast Fredrik wohl durchschaut«, meinte Winter. Weiß der Teufel, dachte Aneta Djanali. Und jetzt tut mir die Hand weh. Ich rede zu viel. Man braucht nicht Sozialarbeiterin zu sein, um zu kapieren, was mit Fredrik los ist. Erik hat es auch bemerkt, aber er wartet ab. Er sitzt hier, und ich weiß nicht, ob es ihm oder mir gut tun soll. Es tut gut, aber am Ende finde ich mich in dieser Hölle wieder, aus der man eigentlich nur raus will. Nichts als weg will. Ich könnte ja auch Telefonistin werden. Ein bisschen Abstand schaffen zwischen den Verrückten und mir. Aber die gibt es überall. Nur muss man sie nicht auch noch ständig bei der Arbeit treffen. Würde Erik mich für feige halten? Er würde das nie sagen. Alle fassen ihre eigenen Entschlüsse. Ein Mensch wird allein nach seinen Taten beurteilt. Aristoteles. Ich kann.
Sie lehnte sich zurück in den Kissenberg und schloss die Augen.
»Du bist müde.« Winter stand auf und klopfte auf ihre Decke. »Vergiss Lee Morgan nicht.«
Draußen atmete er die Abendluft ein. Es duftete nach Salz und Sand, die monatelang in großer Hitze gebacken worden waren. Das ist kein skandinavischer Geruch, dachte er. Jedenfalls nicht so spät im Jahr. Was sollen bloß die Touristen aus dem Süden denken? Deswegen kommen die nicht her. Ich habe die Hitze satt. Ich bin schließlich Schwede. Würde gern ein starker, fortschrittlicher Schwede sein. Ich habe die Gewalt satt, denn ich bin Schwede. Diese Stadt hat keine Infrastruktur, die auf Gewalt eingestellt ist. In anderen Städten ist man vielleicht nicht sonderlich überrascht, wenn die Leute nicht so gut sind, wie man hofft.
Winter ging zum Parkplatz vor dem Krankenhaus. Ein Krankenwagen fuhr ruhig vorbei und hielt vor der Notaufnahme. Zwei Sanitäter rollten eine Trage heran, und ein Mann wurde aus dem Krankenwagen auf die Trage gehoben und durch die Doppeltür geschoben, die in der so plötzlich hereingebrochenen Dunkelheit leuchtete wie ein Portal. Das Abluftsystem winselte wie ein Wüstenwind um die Gebäude.
Winter fuhr nach Hause, parkte in der Tiefgarage und setzte sich dann in ein Gartenlokal. Er trank ein Bier, die Ohren gespitzt, aber ohne den Gesprächen an den wenigen Tischen wirklich zuzuhören.
Die Straßenbahnen ratterten leer über den Vasaplatsen direkt vor ihm. Einmal meinte er ein Gesicht in einem der Wagen wieder zu erkennen. Wie eine schwache Erinnerung. Die Bedienung nahm sein Glas und fragte, ob er noch eins wolle, aber Winter sagte nein und zündete sich einen Zigarillo an. Er konnte den Rauch bis weit in den Park verfolgen. Eine Gruppe junger Leute auf dem Weg zur Universität ging auf dem Bürgersteig vor ihm vorbei. Aus einem Fenster schallte Musik, Rockmusik, aber er glaubte nicht, dass es Clash war. Fange ich mein Leben noch einmal an?, dachte er. Fängt das jetzt alles wieder von vorne an?
Er fühlte, dass er Angela jetzt brauchte, an diesem Abend. Wann sie wohl von ihrer Mutter zurückkam? Wie würde sie sein?
Er holte das Handy heraus und schaltete es ein. Drei Gespräche hatte er verpasst, und er sah auf dem Display, dass eines von Angela war. Here I come, dachte er und tippte ihre Nummer.
19
Er radelte zu ihrer Straße in Kungshöjd. Die Wohnung lag im fünften Stock und hatte den Balkon nach Westen. Dort saßen sie und schauten zum Meer, das sich schwarz gegen den helleren Himmel abzeichnete. Die Hausdächer wirkten im Mondlicht wie mit Asche bestreut. Angela hatte sich nur kurz an ihn geschmiegt und dann auf den Balkon gezeigt. Auf dem Tisch standen Wasser und Wein und etwas Salziges, das nach Kräutern duftete.
»Du bist also gestern wiedergekommen?«, fragte Winter.
»Wie ich gesagt habe.«
Angela trug ein weiches Polohemd und Shorts, das Haar zum Pferdeschwanz gebunden, aber kein Make-up, und Winter sinnierte über die feinen Gesichtszüge der Frauen, als er ihr Profil vor dem hellen Verputz sah. Alles war kleiner und deutlicher, so wie es sein sollte. Nichts
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