Die Schattenfrau
antworten. Alles, was er sagen würde, wäre falsch. Er schwang sich aus dem Bett. »Ich hole was zu trinken.«
»Komm zurück, Feigling!«
»Ich brauche was zu trinken«, beharrte er und zog die Shorts an, indem er erst auf dem einen Bein, dann auf dem andern hüpfte. Er ging auf den Balkon, um Gläser und Flaschen zu holen. Der Wind vom frühen Abend hatte sich gelegt. Es schien, als wäre es wärmer geworden, fast wärmer als im Zimmer. Nichts rührte sich unten auf der Straße. Ein paar Leute fingen an zu jubeln, aber das war irgendwo weit im Osten.
Er hob den Blick. Auch der Himmel war leer. Es mochte ein oder zwei Uhr sein. Er konnte die Arbeit vorschützen und nach Hause radeln, aber das wäre feige. Sagen, dass er noch eine Stunde über dem Laptop sitzen wollte, im gemütlichen Schein des Bildschirms. Das war an sich die Wahrheit, aber es klang nicht wirklich glaubhaft.
Er trug zwei Gläser mit Weinschorle in die Küche, aber es war kein Eis mehr im Kühlschrank. Zurück im Schlafzimmer, reichte er ihr das eine. Sie nahm es und trank.
»Erzähl mir doch mal, worauf wir warten«, sagte sie. »Ich habe es satt, dieses... Arrangement.« »Welches Arrangement?«
»Alles«, entfuhr ihr, und sie trank noch einmal, durstig. »Ich will nicht mehr alleine wohnen.« »Anfangs war es deine Idee.«
»Es ist mir egal, wessen Idee es war. Das ist Jahre her. Damals als wir beide Yuppies waren.« »Das sind wir noch.«
»Du bist siebenunddreißig, Erik. Bald bist du vierzig. Ich bin dreißig. Das Spiel ist aus.«
Er nahm einen Schluck aus seinem Glas. Unten auf der Kungsgatan fuhr ein Auto mit hoher Geschwindigkeit vorbei, auf dem Weg nach Rosenlund. Vielleicht ein Taxi oder ein Privatwagen auf dem Weg zum Straßenstrich an der Feskekörka. Manchmal reihte sich unter ihrem Fenster ein Auto ans andere, alles Freier, aber an diesem Abend war es bislang ruhig gewesen. Er fragte sich, warum. Die Bedingungen waren schließlich optimal.
»Es mag lächerlich klingen, aber das Spiel ist aus. Du weißt, dass ich nie irgendwelche Forderungen gestellt habe, aber jetzt tu ich es«, sagte sie mit Nachdruck.
»Ja.«
»Ist das ein Fehler? Wir sind jetzt fast zwei Jahre zusammen, und das ist eine lange Zeit in unserem Alter und bei getrennten Wohnungen.«
»Da hast du vielleicht Recht.«
»Irgendwann musst du Verantwortung übernehmen, Erik.« Er schwieg.
»Sonst kann ich mich nicht mehr auf dich verlassen«, sagte sie. »Dieses... Arrangement hier passt dir vielleicht in den Kram, aber mir reicht es nicht. Bei weitem nicht.«
»Du willst, dass wir zusammenziehen?«
»Du weißt, was ich will, aber das wäre ein Anfang.«
»Du und ich... in einer Wohnung?«
»Das pflegt man allgemein unter Zusammenziehen zu verstehen, oder?«
»Ja.«
»Hast du noch nie davon gehört?«
Er musste kichern wie ein Schuljunge. Die Situation war unhaltbar, entsetzlich. Er wurde wegen seines Wunsches, für sich zu leben - sie in bequemer Reichweite zu haben, mit dem Fahrrad an einem warmen Abend erreichbar -, zur Rede gestellt. Sie hatte Recht, es war so, wie sie sagte. Das Spiel war aus.
»Einmal muss man sich entscheiden«, erklärte sie sanft, wie einem Kind, das nicht weiß, was es will. »Das kommt doch nicht wirklich überraschend für dich, Erik.«
»Wir können uns noch häufiger... « »Du bist also nicht bereit?« »Das habe ich nicht gesagt.«
»Ich gebe dir nur diese eine Chance«, betonte sie, und der Satz verfolgte ihn auf dem ganzen Weg: hinaus ins Wohnzimmer, wo er den CD-Player anschaltete, vor dem Ständer niederkniete und eine CD aus dem Turm herauszog, einfach eine griff, ohne hinzusehen, die Scheibe aus der Hülle nahm, auflegte und auf Shuffle drückte. Das Zimmer wurde von einer nasalen Männerstimme erfüllt, die ihm entfernt bekannt vorkam. In einem disharmonischen Blues begann der Sänger zu klagen, dass er nicht mehr warten konnte. I can't wait, wait for you to changeyour mind, it's late, I'm tryin' to walk the line.
»Du meine Güte«, sagte Angela von der Tür her. »Ich wusste gar nicht, dass du die neue CD von Dylan so gut kennst. Oder Dylan überhaupt.« Sie kam näher und zeigte auf die Stereoanlage. »Meinst du uns beide?«
Winter drehte sich mit einem verwirrten Ausdruck im Gesicht zu ihr um.
20
Winter verließ Kungshöjd bei stechendem Sonnenschein. Seine dunkle Brille dämpfte den Schmerz unter dem Scheitel. Er war mit rasenden Kopfschmerzen aufgewacht, die trotz zweier Tabletten noch nicht
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