Die Schattenfrau
bin ich schon crazy? Jedenfalls verrückt genug, um an der Polizeiarbeit festzuhalten.«
»Der Kampf gegen das Böse«, zischte sie. »Das ewige Lied.« »Ich weiß, es klingt pathetisch.«
»Nein, Erik. Du weißt, das ich das nicht denke. Aber manchmal wird es so viel, irgendwie so groß.«
Was sollte er darauf sagen? Es war wie ein Krieg, den er führte. Er war Polizist, aber er war kein Zyniker. Er glaubte an die Kraft des Guten, und deshalb sprach er vom Bösen. Es war unfassbar, als erblicke man einen Feind durch Panzerglas. Er war da, voll sichtbar, aber man kam nicht an ihn heran. Wie ein Ungeheuer, das mit dem Verstand nicht zu begreifen war. Wer versuchte, das Böse mit Hilfe der Vernunft zu erfassen, ging unter. Er lernte es allmählich, aber er hatte noch einen langen Weg vor sich. Er wollte dem Ungeheuer näher kommen, um es besiegen zu können. Seine Aufgabe war, das Böse aufzuspüren, durch den Panzer zu dringen und es zu besiegen. Was sollte er dabei gebrauchen, wenn nicht seine Vernunft? Wenn man dem Bösen nicht mit Hilfe seiner Güte und seines Verstands beikommen konnte, was blieb einem dann noch? Auch ihm war der eine Gedanke gekommen - ein Gedanke wie ein unheimliches schwarzes Loch in der Wirklichkeit: Böses konnte nur... mit Bösen bekämpft werden.
Bergenhem pustete auf den Hals hinter Adas Ohr, und sie schrie auf. Vor Vergnügen, hoffte er. Die Welt um sie war ein Nebel aus Puder, nachdem er die offene Dose aus Versehen mit dem Ellenbogen in den Korb unterm Wickeltisch geschubst hatte.
Als er noch einmal pustete, wirbelten einige Körnchen von ihrem Ohrläppchen auf. Ada plapperte die ganze Zeit vor sich hin, ein Gegurgel, das ihm mehr sagte als alles, was er an diesem Tag gehört hatte. Bald würde sie ein halbes Jahr alt sein.
Während er Ada schützend im Arm hielt, musste er daran denken, wie eigenartig die Wege des Lebens waren.
Er selbst war zurückgekehrt nach einem kurzen Augenblick zwischen Leben und Tod, auf dem scharfen Grat. Fast genau im gleichen Augenblick, in dem Ada auf die Welt gekommen war. Daran hatte er oft denken müssen, nächtelang. Nächte, nach denen er schweißbedeckt erwachte.
Bergenhem trug seine Tochter vorsichtig die Treppe hinunter ins Wohnzimmer und legte sie auf eine Wolldecke auf dem Boden. Er ließ sich mit dem Gesicht auf gleicher Höhe daneben nieder. Ada plapperte munter weiter.
»Ich dachte, wir könnten draußen essen«, sagte Martina, die aus der Küche gekommen war. »Ja, es ist überall gleich warm.« »Auf der Veranda ist es kühler.«
»Ich nehme die Decke für Ada mit rüber«, fuhr er fort und klemmte sich Ada unter den einen und die Decke unter den anderen Arm und ging durch die Verandatür hinaus.
»Ich habe heute etwas erlebt, das mich erschreckt hat«, sagte er.
Martina hatte Teller und Besteck geholt und deckte den Tisch. »Ja?«
»Ein Mann, der sich freute, als er einen toten Menschen sah.«
»Wirklich?«
»Er war darauf gefasst, dass es jemand anders wäre. War fest davon überzeugt. Ich auch, obwohl ich nicht erklären könnte, warum. Es war, als passte plötzlich ein Teil zum anderen und wir wüssten endlich, wer die Ermordete war.«
Er bereute seine Worte, als er seine Tochter neben sich glucksen hörte. Es war, als hätte er etwas Hässliches gesagt, den Augenblick verdorben.
Martina erriet, was er dachte. »Das war wohl eine natürliche Reaktion«, meinte sie.
»Ja. Aber es war so... pervers dort, in diesem Raum. Dass sich da plötzlich jemand freute.«
»Das war eben eine Spontanreaktion. So was kann man nicht steuern.«
»Was hab ich doch für eine kluge Frau.«
»Ich weiß.«
»Wie macht man das?«
»Was meinst du?«
»So klug zu werden.«
»Erst einmal lässt man sich als Frau zur Welt bringen«, begann sie, und Bergenhem gratulierte seiner Erstgeborenen, indem er ihr hinters Ohr pustete. Ada schrie auf. Vor Vergnügen, hoffte er wieder.
»Es gibt nichts, worauf wir warten müssten«, sagte Angela, als sie wieder ruhiger atmeten.
Winter hatte wieder dieses weiße Licht gesehen und noch einmal das sensationelle Gefühl erlebt, diesen Moment, in dem Körper und Seele eins waren, in den Sekunden aus weißem Licht zu einer Einheit verschmolzen. Plötzlich wusste er nicht mehr, was Wirklichkeit war und was Traum.
Danach kam die süße Müdigkeit, Stille. Und dann war da Angelas Stimme wieder.
»Worauf warten wir?«, wiederholte sie. »Ich will diese verdammten Pillen wegwerfen.«
Winter konnte nicht
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