Die Schattenfrau
nachgelassen hatten.
Am Abend zuvor hatte er Sachen zum Wechseln mitgenommen. Angela winkte vom Balkon, als er den Hügel hinuntersauste. Er hatte noch eine Bedenkzeit herausgeschlagen, aber das war eigentlich der falsche Ausdruck. Die richtigen Worte fand er nicht. Er konnte sich jetzt nicht auf sein Privatleben konzentrieren, obwohl ihm klar war, dass es mehr bedeutete, als er ahnte. Das Private.
Über Heden hing eine Staubwolke. Ein paar junge Männer spielten Fußball auf einem der Kiesplätze, die nur noch ein Meer aus wirbelndem Sand waren. Studenten, dachte Winter. Während seines einzigen Jahres an der sozialwissenschaftlichen Fakultät war er in zwei Studentenmannschaften Vorstopper gewesen. Die beste Truppe hatte »Gut durchblutet« geheißen und hatte das Cupfinale hier auf Heden erreicht, vielleicht auf demselben Platz, war aber dann »Per Rectum«, der Mannschaft der Mediziner, unterlegen. Winter war in der zweiten Halbzeit vom Platz gestellt worden. Der Schiedsrichter war ein Idiot gewesen. Ein tragischer Mangel an Urteilsvermögen.
»Sie hat nichts von sich hören lassen«, begrüßte ihn Ringmar gleich nach der morgendlichen Besprechung. »Sollen wir hinfahren?«
Winter überlegte. Sie brauchten keine Anordnung des Staatsanwalts. Als Leiter der Ermittlung konnte er selbst den Beschluss fassen, jemanden »zum Verhör zu laden«. Das schloss ein, in eine fremde Wohnung zu stiefeln und auch zu versuchen, jemanden mit Gewalt zum Verhör zu holen, der nicht aus freien Stücken auftauchte. Er sah in seinen Papieren nach: Andrea Maltzer wohnte in der Viktor Rydbergsgatan. Feine Adresse.
»Okay. Wir fahren hin.«
Sie nahmen den Korsvägen. Jemand hatte es im Kreisverkehr zu eilig gehabt und nicht aufgepasst. Zwei beschädigte Autos standen in einem hässlichen Winkel ineinander verkeilt. Ein uniformierter Beamter prüfte zusammen mit zwei Männern, in denen Winter die Fahrer vermutete, die Sachlage. Der eine wirkte aufgeregt und verlegen zugleich. Das war der normale Gesichtsausdruck bei Unfällen ohne Verletzte. Bei Blechschäden. Der Polizeibeamte war ein Mann in den Fünfzigern. Er blickte auf, als sie sich vorsichtig vorbeischlängelten und nickte zum Gruß. Ringmar streckte die Hand durch die Fensteröffnung und grüßte zurück.
»Sverker«, sagte Winter.
»Wir haben viele Schichten Seite an Seite durchgestanden«, bestätigte Ringmar. »Die süße Jugendzeit in Uniform.« »Ich hab ihn eine ganze Weile nicht gesehen.« »Er war krank. Krebs, im Bein, glaube ich.«
»Ich glaube, ich habe davon gehört«, meinte Winter und fuhr den Eklandabacken hinauf.
»Er hat keinem was gesagt. Es ging ganz schnell. Er war im Nu wieder aus der Klinik. Als ob er bloß eine Hautbehandlung oder so gehabt hätte. Und das sind immer noch seine eigenen Beine, auf denen er steht.«
Winter spähte an den Häusern empor, nachdem sie an der Kirche vorbeigefahren waren und in einer Parklücke direkt gegenüber von Andrea Maltzers Adresse hielten. Das Haus war hoch, und die Straße lag im Schatten. Die Haustür war breit und wirkte streng. Es roch nach Geld und etwas anderem, Schmierseife vielleicht.
»Sogar noch schöner als in deinem Hausflur«, sagte Ringmar.
Der Schlosser wartete schon auf sie. Er saß auf einem Rattansessel bei der Haustür und stand auf, um sie zu begrüßen.
»Erster Stock«, gab Winter an. »Wir nehmen die Treppe. Ich will nicht auf den Aufzug warten.«
Sie gingen die Treppe hoch. Das polierte Tropenholz und die dicht stehenden Grünpflanzen auf jedem Treppenabsatz gaben Winter das Gefühl, durch einen gestutzten Dschungel zu wandern.
Der Aufzug stand im ersten Stock. Der Schlosser machte sich bereit.
»Ich läute erst einmal«, sagte Winter.
Man konnte nie wissen. Er läutete noch einmal. Schritte ertönten, und Winter dachte, sie kämen von anderswo. Die Tür sah so massiv aus, als könnte man sich unmöglich mit einem Beil Zugang verschaffen. Sie erforderte eine Motorsäge. Oder einen Sturmbock mit Fredrik in der ersten Reihe.
Eine Kette rasselte, dann wurde die Tür von einer Frau geöffnet, die ungefähr so alt sein mochte wie Angela.
Sie blickte die drei Männer an. Einer war groß, mit einem gut geschnittenen Sommeranzug in Grau, der andere war etwas kleiner und trug ein Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln, das in eine beige Baumwollhose gestopft war. Der dritte war höchstens fünfundzwanzig und hatte abscheuliche Bermudashorts und ein T-Shirt an und hielt einen Schlüsselbund in
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