Die Schattenkämpferin 1 - Das Erbe der Drachen
nicht ich müsse dafür büßen, sondern nur sie allein. Hätte ich doch nur über meine magischen Kräfte verfügt, wäre es mir doch nur etwas besser gegangen ... Niemals hätte ich es ihr erlaubt, niemals! Ich wäre gestorben, und all das Unglück wäre nicht geschehen.«
In Sennars Augen loderte ein Zorn, der Lonerin fast Angst machte, Zorn auf sich selbst, Schuldgefühle, die die langen schrecklichen Jahre der Einsamkeit dort eingebrannt hatten.
»Es ging alles viel zu schnell. Nihal brauchte ja nur den mittleren Stein des Medaillons, des Talismans der Macht, zu zerstören, an dem ihr Leben hing. Ein kurzer Hieb mit dem Schwert, bevor noch jemand eingreifen konnte. Tarik und ich beobachteten entsetzt, wie sie zu Boden sank, ohne einen Laut von sich zu geben, vielleicht sogar ohne zu leiden. Wir sahen es mit Grausen und konnten nichts dagegen tun, während die Elfen die Szene gleichgültig verfolgten und, als es vorbei war, nur zu uns sagten, damit sei die Missetat gesühnt und wir seien frei.«
Vor Wut ballte Sennar die Fäuste, die Verachtung, die er für sich selbst empfand, war grenzenlos.
»Anfangs wollte ich mich vollkommen aufgeben, der Schmerz war einfach zu stark. Doch da war ja noch Tarik. Wie hätte ich ihn allein lassen können? So wurde er mein ganzer Lebensinhalt, er gab mir die Kraft, überhaupt weiterzumachen. Ich wollte ihn so glücklich machen, wie er es verdient hatte. Was er da hatte erleben müssen, war so ungerecht für ihn.« Sennar seufzte.
»Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass ich auch dabei vollkommen versagt habe. Diesen verhängnisvollen Tag hat Tarik nie vergessen können, und er wusste genau, dass mich die Schuld daran traf. Das war ihm ständig bewusst, und auch ich selbst habe es nie geleugnet. So wuchs er heran, und gleichzeitig wuchs auch sein Hass auf mich. Zudem fehlte mir die Kraft, ihn wirklich zu erziehen, ihm Vorbild und ein echter Vater zu sein. Als er fünfzehn war, wollte er nichts mehr mit mir zu tun haben und zog fort. Seit damals habe ich ihn nicht mehr wiedergesehen.«
Hier brach Sennar ab, und Lonerin wusste nicht, was er hätte sagen können. Ihm fehlten die Worte, um ihn zu trösten, um seinen Schmerz zu lindern. So blieb er nur stumm neben ihm sitzen, vor dem Grabstein in der Stille der kleinen Lichtung. »Was ist mit Ido?«, fragte Sennar nach einer Weile.
Er blickte Lonerin aus feuchten Augen an und bemühte sich dabei, etwas gefasster zu erscheinen, fast so, als wolle er dieses Geständnis zurücknehmen, das er vielleicht jetzt schon bereute. »Längere Zeit habe ich ihm immer wieder geschrieben, doch als Tarik fort war, habe ich irgendwie das Interesse an allen Kontakten verloren.«
»Es geht ihm gut«, antwortete Lonerin mit einem Lächeln, »er gibt nicht auf, zieht immer noch in den Kampf. Nachdem Dohor ihn als Verräter gebrandmarkt hatte, leistete er viele Jahre Widerstand, führte eine Gruppe von Rebellen im Land des Feuers, solange es eben möglich war. Seitdem arbeitet er für den Rat der Wasser, in dem die Länder, die sich Dohors Einfluss noch erfolgreich entziehen konn 22 ten, zusammengeschlossen sind, also die Mark der Wälder, die Mark der Sümpfe sowie das Land des Meeres.«
Sennar schien etwas verwirrt. »Es hat sich doch vieles verändert, seit ich die Aufgetauchte Welt verlassen habe ...«
»Das schon ... Jedenfalls hat Ido sich jetzt aufgemacht, Euren Sohn zu suchen. Wir hatten keinen Hinweis, wo er leben könnte, aber ich weiß, dass Ido ihn vor der Gefahr warnen und ihn gegebenenfalls beschützen wird.« Sennar nickte. »Das wäre eigentlich meine Aufgabe ...« »Wie hättet Ihr davon erfahren sollen, so weit entfernt?«
»Schon, aber vielleicht hätte ich längst in die Aufgetauchte Welt zurückkehren sollen. Jedenfalls war es ein Fehler, von dort wegzuziehen, ein Fehler, den ich teuer bezahlen musste. Doch als Tarik mich verließ, fühlte ich mich dermaßen überflüssig, erledigt, und mir war klar, dass ich ihm nicht folgen durfte. Ganz bewusst hatte er sich ja meiner Kontrolle entzogen, war zum Mann geworden, und so war es richtig, dass ich ihm nicht mehr länger meine Trauer und meine Einsamkeit aufzwang.«
Eine Weile schwiegen sie wieder, bis Sennar plötzlich in ein bitteres Lachen ausbrach. »Seit Ewigkeiten habe ich nicht mehr über diese Dinge gesprochen, und nun tue ich es plötzlich einem völlig Fremden gegenüber.«
Er blickte Lonerin freundlich an, und dem jungen Magier wärmte es das Herz. »Deine
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