Die Schattenkämpferin 1 - Das Erbe der Drachen
mittlerweile verflüchtigt hatte. Die Ereignisse des Tages und das lange Gespräch mit Sennar schienen ihre persönlichen Angelegenheiten in den Hintergrund gedrängt zu haben. Was war denn auch ihr Streit gemessen an dem, was der greise Held ihnen erzählt hatte? Nichts, bedeutungslos. Und so dachten beide nur an Sennar und daran, wie ihn die Zeit verändert hatte, wie enttäuscht und verzweifelt er war.
Lonerin fragte sich, ob er auch einmal so enden würde, besiegt und gebrochen, ob es wirklich zu nichts führte, immer wieder gegen den Hass zu kämpfen, ein Kampf, den Sennar als sinnlos bezeichnet hatte. Wie so häufig gab es darauf keine eindeutige Antwort. Es blieb nur, sich mühsam jeden Tag neu mit dem Hass, auch dem eigenen, auseinanderzusetzen.
Dubhe hingegen dachte darüber nach, wie weit doch ihr eigenes Leben von diesen großen, noblen Problemen entfernt war. Sennars Geschichte machte ihr einmal mehr erbarmungslos klar, wie banal, erbärmlich und leer es war, dieses Leben, in dem alle Werte fehlten.
Fast gleichzeitig stellten sie die leeren Schalen zu Boden und streckten sich dann auf ihren Strohlagern aus.
Dubhe hatte sich bereits zu einer Seite gedreht, als Lonerin sie plötzlich antippte. Sie zuckte zusammen und fuhr herum. Der junge Zauberer lächelte sie an, und es war, als öffne sich eine Blüte in der Wüste.
»Danke für deinen Beistand«, sagte er. Dubhe war gerührt.
Es war nur ein Moment, dann drehte sich Lonerin wieder um, und einige Augenblicke lag starrte Dubhe auf seinen Rücken.
»Danke«, murmelte auch sie.
Das Grab im Wald
In aller Frühe wachte Lonerin auf, als das erste Morgenlicht zwischen den schiefen Brettern des Heuschobers einsickerte.
Zum ersten Mal seit Beginn ihrer Reise fühlte er sich heute beim Aufwachen fast im Frieden mit sich selbst, wie jemand, der endlich eine lange vor sich her geschobene Pflicht erledigt hat. Nun lag alles in Sennars Hand. Er selbst konnte sich einen Tag Ruhe und Entspannung gönnen.
Er drehte sich um und sah Dubhe, auf der Seite schlafend, neben sich liegen, eine Hand wie immer am Heft ihres Dolches. Die Wunde, die sie ihm beigebracht hatte, war nur noch wie ein dumpfer, melancholischer Schmerz auf dem Grund seines Herzens. Vielleicht hatte sie ja recht, vielleicht war die Liebe, die er für sie zu empfinden glaubte, tatsächlich nichts weiter als Mitleid. Auch er hatte in ihr etwas gesucht, was sie gar nicht war, und sich deshalb bemüht, sie zu lieben und zu beschützen.
Bei diesen Gedanken wanderte seine Hand unwillkürlich zu seiner Brust, und fast war er überrascht, unter seinen Fingern ein Säckchen zu spüren. So als habe er es nicht die ganze Zeit bei sich getragen. Natürlich wusste er, was es war. Es enthielt die Haare, die sich Theana vor seinem Aufbruch abgeschnitten hatte, und er erinnerte sich, wie schön und freundlich sie doch war, und dieser Gedanke wärmte ihm das Herz. Dann blickte er auf Dubhe hernieder, und Theanas verschwommenes Bild löste sich auf. Vielleicht war Dubhe nicht die Frau seines Lebens, doch sie so schutzlos und hilfsbedürftig zu sehen, machte sie unwiderstehlich für ihn.
Er sprang auf, raffte seine Sachen zusammen, ging hinaus und zog die Tür des Schobers leise hinter sich zu. Dubhe so nahe zu sein und sie gleichzeitig so entfernt zu wissen, war mehr, als er ertragen konnte.
Die Morgenluft war kühl, und Lonerin blinzelte im hellen Tageslicht. Als sich seine Augen daran gewöhnt hatten, begann er sich umzuschauen und ein wenig herumzuspazieren, wobei er sich freute, nun endlich angekommen zu sein, das Ziel ihrer Reise erreicht zu haben und keine große Sorgen zu spüren bis auf diese unterschwellige Traurigkeit, die sogar etwas Süßes hatte.
Sein Herz machte einen Sprung, als er plötzlich Sennar erblickte, der in einiger Entfernung durch das Dickicht humpelte. Es fiel ihm schwer, sich klarzumachen, einen der größten Magier aller Zeiten vor sich zu haben, einen Helden und Verfasser einiger seiner Lieblingsbücher.
Ohne genau zu wissen wieso, folgte Lonerin ihm, was seinem Gastgeber gegenüber sicher nicht höflich war. Aber er war eben neugierig. Schließlich hatte Sennar auf vielfältige Weise sein Leben geprägt. Im Geist von Sennars Mythos hatte Meister Folwar ihn die Magie gelehrt, hatte ihm den Helden immer als Vorbild dargestellt. Auch er war ohne Vater aufgewachsen, auch er war immer wieder in Versuchung gewesen, dem Hass zu erliegen . . . Dies alles bewunderte Lonerin an ihm, und er
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