Die Schattenkämpferin 1 - Das Erbe der Drachen
Schuldgefühle gewesen, hätte sie schon damit umgehen können. Aber etwas anderes stand im Vordergrund.
Als man Dubhes Flucht entdeckte, war Rekla in ihrer Verzweiflung unverzüglich in den Tempel geeilt. Vor der Statue ihres Gottes warf sie sich zu Boden nieder, hob die Hände zum Himmel und flehte: »Vergib mir, oh Thenaar, ich bitte dich, vergib deiner unwürdigen Dienerin! Sprich zur mir, zeige mir, was ich tun soll. Ich will deine rechte Hand sein.«
Doch kein Wort, kein Trost erreichte sie von oben. Alles schwieg.
Viele Stunden brachte sie büßend und betend vor der Statue zu, doch vergeblich. Thenaar schwieg gekränkt, und Rekla war derart erschüttert, dass sie sich persönlich erbot, Dubhe zu suchen und zurückzubringen, sah sie darin doch die einzige Möglichkeit, den Zorn ihres Gottes zu besänftigen. Wenn das Blut dieser Verräterin in das Becken in der großen Halle floss, würde Thenaar endlich wieder das Wort an sie richten. Rekla konnte es nicht erwarten, so übermächtig war das Verlangen, seine Stimme wiederzuhören. Eigentlich hatte sie, in Erwartung von Dubhes Opferung in der Gilde, schon mal den jungen Magier, mit dem das Mädchen unterwegs war, töten und sein Blut Thenaar darbringen wollen. Aber auch er war ihr entwischt, auch er hatte ihre Pläne durchkreuzt. Ihren unermesslichen Zorn darüber hatte Rekla nur teilweise an Dubhe auslassen können, indem sie sie mit Schlägen und Tritten traktierte. Aber das reichte ihr nicht. An diesem Abend hatte sie zwei Tropfen mehr in ihren Trank gegeben und wartete jetzt auf ihr Stöhnen, auf die Wirkung des Giftes. Dubhe würde nicht daran sterben, aber leiden würde sie, sehr sogar.
Als das erste Wimmern an ihr Ohr drang, verzog sich Reklas Miene zu einem zufriedenen Lächeln.
Gefangenschaft
Mitten in der Nacht spürte Dubhe sie plötzlich neben sich. Mühsam drehte sie sich um und sah in ein funkelndes Augenpaar. Sie dachte zurück an die vielen Male, da sie auf der Wanderung mit Lonerin solch funkelnde Augen im Dickicht des Waldes bemerkt hatte. Diese hier waren ganz ähnlich. Reklas Augen waren die eines wilden Tieres. »Ich hab dich stöhnen hören«, sagte sie. Ihre Stimme klang beängstigend ruhig.
Sofort überkam Dubhe ein heftiger Abscheu vor dieser Frau, zumal sie jetzt spürte, wie aus der Tiefe ihres Leibes ein Verlangen aufstieg. Sie biss die Zähne zusammen, damit ihr die Worte nicht über die Lippen kamen, doch Rekla ahnte, was in ihr vorging.
»Ich weiß, was du brauchst.«
Sie lächelte. Genauso wie damals, als Dubhe sie zum ersten Mal gesehen hatte. Aus einer Tasche holte Rekla ein Fläschchen hervor und schwenkte es vor Dubhes Augen hin und her. Das Mädchen wusste, was darin war, und spürte, wie sich die Bestie knurrend regte.
»Das willst du. Nicht wahr?«, fuhr Rekla mit süßlicher Stimme fort, »nur leider hat eine Verräterin wie du keine Belohnung verdient. Du verdienst nur Leid und Schmerz.« Und sie umschloss das Fläschchen in ihrer Faust. Sie freute sich, die Mischung wirkte. »Vielleicht wundert es dich, dass es dir so schlecht geht. Aber in dem Trank, den du bekommen hast, war etwas drin, was nicht hineingehörte. Auch wenn ich dich lebendig zum Tempel bringen muss, niemand hat mir befohlen, dich zu schonen.«
Dubhe fletschte die Zähne. Daher also diese seltsame, schmerzhafte Benommenheit. »Ich will gar nichts davon«, log sie mit zitternder Stimme. »Ach nein? Könntest du dich rühren, würdest du mir die Ampulle aus den Händen reißen.«
Dubhe stöhnte. Es war nicht zu ertragen, sich wieder so erniedrigen zu müssen für das nackte Überleben. Nicht, nachdem sie nun gesehen hatte, dass es auch eine andere Welt gab außerhalb der Mauern ihres Gefängnisses, und daran änderte auch nichts, dass ihr diese Welt verschlossen war. Es gab sie, nur das zählte.
»Aber ich lass dich lieber noch ein wenig schmoren«, fuhr Rekla fort. »Bis morgen früh, vielleicht auch noch etwas länger. «
»Wenn es mir zu schlecht geht, halte ich euch auf.«
Rekla zuckte gleichgültig mit den Achseln. »Mein Gott verlangt von mir, dich nicht auf der Stelle zu töten. Und ich werde ihm gehorchen. Aber ich glaube nicht, dass er mir zürnt, wenn ich mir diese kleine Genugtuung gönne. Du weißt, dass es mir Vergnügen bereit, dich leiden zu sehen.«
Dubhe bewegte die hinter dem Rücken zusammengebundenen Hände in dem Verlangen, sich zu befreien. Natürlich vergeblich. »Warum tust du mir das an?«, stöhnte sie.
Rekla
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