Die Schattenkämpferin 1 - Das Erbe der Drachen
dieses Laster beenden und endlich zur Ruhe kommen wollte. Jedenfalls war sie eines Tages so unvorsichtig, ihrer Leidenschaft in der Nähe des Hauses nachzugehen, und als ihr Vater sie fand, hatte sie noch die Hände voller Blut. Vor Zorn bebend und wieder mal betrunken, schleifte er sie an den Haaren ins Haus zu ihrer Mutter. »Weißt du, was deine Tochter anstellt, dieses Ungeheuer, das du unbedingt aufziehen musstest?! Sie schlachtet Kaninchen im Wald und hat noch ihre Freude daran! Aber was war von so einer nichtsnutzigen Frau wie dir schon anderes zu erwarten als so eine Tochter?«
Vielleicht war es gar nicht schlimmer als die anderen Male. Ihre Mutter, die schreiend davonlief, der Vater, der sie durch das Zimmer jagte, Stühle, die am Boden zersplitterten.
Und sie, Rekla, in einer Ecke des Raums, presste die Hände auf die Ohren. Und doch hörte sie jedes Wort, jedes einzelne durchdrang ihre Handflächen und setzte sich in ihrem Kopf fest. »Ich habe dich vor der Schande bewahrt, als ich dich geheiratet habe. Kein anderer Mann hätte dich noch genommen, aber ich habe es getan, obwohl du mir völlig gleich bist genauso wie deine beschränkte Tochter da!« Das stimmt nicht, das stimmt nicht!
Noch fester presste Rekla die Hände auf die Ohren, doch die Worte ihrer Eltern vermengten sich nun mit jenen, die sie damals im Gespräch der beiden Jungen aufgeschnappt hatte.
»Ich hab das Kind niemals gewollt!«, schrie ihre Mutter. »Und dich auch nicht! Du hast dich mir an den Hals geworfen!« Sie schluchzte, doch was sie sagte, war kalt und erbarmungslos. »Was glaubst du denn? Natürlich habe ich versucht, das Kind rechtzeitig wegmachen zu lassen. Ich wollte mir das alles ersparen, aber es ist mir nicht gelungen. Verflucht sei der Tag, als ich dich traf. Verflucht seiest du, verflucht sollt ihr sein, ihr alle beide!« Das stimmt nicht, das stimmt nicht!!
Rekla öffnete die tränenverschleierten Augen, und das Einzige, was sie wahrnahm, war das Funkeln eines Gegenstandes auf dem Tisch. Verzaubert betrachtete sie es, wie damals das Glitzern der Glasscherbe. Es war das Messer, mit dem ihre Mutter das Gemüse schnitt.
Ohne dass ihre Eltern es merkten, stand sie auf und griff zu dem Messer. Plötzlich wusste sie, dass sie es tun musste, weil damit alles verschwinden würde, was diesen Albtraum ausmachte: ihr Vater, ihre Mutter, ja die ganze Wahrheit dieser absurden, tragischen Geschichte.
Und so stach sie zu. Zweimal, und ihr Vater sackte zu Boden. Mit einem derart tiefen Hass in den Augen beobachtete ihre Mutter die Szene, dass Rekla diesen Blick nie mehr vergessen würde. Bei ihr reichte ein einziger Stoß, bald verstummten die Schreie, und im Haus wurde es still. Diese eigentümliche Ruhe hatte etwas Friedliches, und Rekla begann zu weinen, völlig lautlos. Sie floh. Was sie getan hatte, ging über jede Vorstellung hinaus. Eine Rückkehr war unmöglich. Sich ihre Jagderfahrung zunutze machend, streifte sie ziellos durch die Wälder, während auf immer mehr Häuserwänden ihr Bild auftauchte, als Zeichnung auf Plakaten, die auch eine Belohnung für die Ergreifung der Verbrecherin versprachen. Die Leute betrachteten ihr Bild und schüttelten den Kopf. Jetzt wussten alle, wozu sie fähig war. Ich bin böse.
Wäre der Mann nur einen Tag später in ihr Leben getreten, hätte sie nicht überlebt. Mit ihren Kräften am Ende, hätte sie es aufgegeben, zu kämpfen, zu jagen, hätte nur noch auf den Tod gewartet. Sie war zwölf, und aller Lebensmut erschöpft. Die Ungeheuerlichkeit ihrer Tat zermürbte, erdrückte sie.
Lautlos war der Mann hinter sie getreten, und als Rekla entsetzt herumfuhr, hatte er sie nur angelächelt. »Ruhig, ich will dich nicht verraten.«
Es war selten vorgekommen in ihrem Leben, dass ihr jemand nichts Böses wollte. Die Gefühle überwältigten sie, und der ganze Schmerz, der sich in den zurückliegenden Jahren angestaut hatte, brach hervor in einem verzweifelten Weinen, während der Mann sie an sich drückte.
Er war ganz in Schwarz gekleidet, und seine Bewegungen waren flink und elegant. Er sei ein Siegreicher, erklärte er, und trage immer einen schwarzen Dolch bei sich, mit Heft und Glocke in Form einer Schlange, und besitze noch unzählige weitere Waffen.
»Ich kenne dich, Rekla, und weiß alles über dich. Ich weiß, dass du deine Eltern umgebracht hast, und ich weiß, dass du den Geruch von Blut magst.« Sie errötete und schlug schuldbewusst die Augen nieder.
Der Mann griff unter ihr
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